ADHS > Erwachsene

1. Das Wichtigste in Kürze

ADHS (früher ADHS und ADS) ist insbesondere als Erkrankung des Kindes- und Jugendalters bekannt. Meistens bleiben die Symptome jedoch ganz oder teilweise bis ins Erwachsenenalter bestehen und verändern sich nur. Betroffene können sich z.B. nur schwer konzentrieren und leiden unter innerer Unruhe. Oft tritt zudem mindestens eine zusätzliche psychische Erkrankung auf.

2. Diagnose

Früher wurde ADHS nur bei Kindern und Jugendlichen diagnostiziert und es wurde angenommen, dass es sich "verwächst". Doch dann wurde bekannt, dass die Symptome häufig, zumindest teilweise, auch bei Erwachsenen bestehen bleiben. Sie wandeln sich eher, als dass sie aufhören. Inzwischen wurde herausgefunden, dass ADHS sich im Erwachsenenalter phasenweise stärker oder schwächer bemerkbar macht, aber bei den meisten Menschen nicht vollständig verschwindet.

Offenbar bleiben die für die Symptome ursächlichen Besonderheiten ein Leben lang erhalten, aber die Betroffenen können zum Teil so gut damit umgehen, dass sie keinen Leidensdruck mehr haben und die Diagnose nicht mehr gestellt werden kann. Trotzdem können die Probleme aber in einer anderen Lebensphase zurückkehren, besonders, wenn sich die Lebensumstände verändern.

Eine ADHS-Diagnose erst im Erwachsenenalter ist schwieriger als bei Kindern und Jugendlichen, da die Symptome meist weniger eindeutig sind. Das liegt daran, dass Erwachsene mit ADHS oftmals Strategien entwickelt haben, um sie auszugleichen. Da davon ausgegangen wird, dass ADHS in der Kindheit beginnt, gehört zur Diagnosestellung im Erwachsenenalter die Klärung, dass die Anzeichen bereits im Kindesalter vorlagen. Treten ADHS-typische Symptome erstmals im Erwachsenenalter auf, haben sie andere Ursachen, wie z.B. eine Persönlichkeitsstörung. Da ADHS selten allein kommt, sondern gerade im Erwachsenenalter oft auch andere psychische Störungen vorliegen, z.B. Depressionen, wird es oft erst spät erkannt.

Eine sichere Diagnose benötigt viel Zeit, ist aber umso wichtiger für den Therapieerfolg. Ausführliche Informationen zur Diagnose, den beteiligten Fachrichtungen und den Symptomen, die auf ADHS hinweisen, unter ADHS > Ursachen und Diagnose.

3. Behandlung

Genauso wie bei Kindern und Jugendlichen hilft bei ADHS im Erwachsenenalter am Besten eine sog. multimodale Therapie, das heißt eine Behandlung mit mehreren Methoden, die mit einem Behandlungsplan aufeinander abgestimmt sind:

  • Am Anfang steht die sog. Psychoedukation, das heißt die umfassende Information der Betroffenen und ihres Umfelds über ADHS.
  • Danach wird sog. kognitive Verhaltenstherapie ggf. in Kombination mit Medikamenten empfohlen.

Die Behandlung sollte immer individuell ausgewählt werden. Es ist wichtig, dass die Therapie von den Betroffenen selbst und möglichst auch von ihrem Umfeld gewünscht und getragen wird. Bei der Auswahl der Therapieform sollten persönliche Faktoren, Umgebungsfaktoren, der Schweregrad der Störung, der Leidensdruck und Nebenerkrankungen berücksichtigt werden.

3.1. Psychoedukation

Psychoedukation ist der erste Schritt einer Behandlung von ADHS. Nur wenn die Betroffenen gut über ADHS und die Behandlungsmöglichkeiten Bescheid wissen, können sie selbstbestimmt über ihre weitere Behandlung entscheiden, z.B. darüber, ob und ggf. welche Medikamente sie einnehmen wollen.

Psychoedukation umfasst:

  • Aufklärung und Beratung des Menschen mit ADHS und seines Umfelds zu ADHS, den Ursachen und den Behandlungsmöglichkeiten
  • Verdeutlichung persönlicher Stärken und Möglichkeiten, um eigene Ziele zu erreichen z.B. Sportlichkeit, Spontanität, Kontaktfreudigkeit oder Kreativität
  • Erarbeiten von Strategien zum Umgang mit ADHS und dessen Folgen

3.2. Kognitive Verhaltenstherapie

Die medizinische Leitlinie empfiehlt Menschen mit ADHS eine sog. Kognitive Verhaltenstherapie als Gruppentherapie oder als Einzeltherapie. Das ist eine Form der Psychotherapie.

Erwachsene mit ADHS können dabei

  • passende Strategien zum Umgang mit ihrem ADHS entwickeln,
  • praktische Techniken lernen, mit denen Sie die Auswirkungen von ADHS verringern können,
  • für sie ungünstige Gedanken und Überzeugungen überprüfen und ggf. korrigieren, z.B. die falsche Annahme faul oder dumm zu sein, die bei zunächst unerkanntem ADHS leicht entstehen kann.

3.3. Medikamente

Eine medikamentöse Behandlung bei Erwachsenen mit ADHS sollte nur von Ärzten durchgeführt werden, die umfassende Kenntnisse über ADHS, Begleiterkrankungen und die einzusetzenden Medikamente besitzen.

In Deutschland sind für Erwachsene die Wirkstoffe Methylphenidat, Atomoxetin und Lisdexamfetamin zugelassen.

Methylphenidat und Lisdexamfetamin sind sog. Stimulanzien. Sie dürfen bei ADHS im Erwachsenenalter nur von sog. Spezialisten für Verhaltensstörungen bei Erwachsenen verordnet werden. Darunter fallen nur ärztliche Psychotherapeuten und Fachärzte für folgende Gebiete:

  • Nervenheilkunde
  • Neurologie und/oder Psychiatrie
  • Psychiatrie und Psychotherapie
  • psychosomatische Medizin und Psychotherapie

Für Erwachsene mit ADHS kann es ggf. sinnvoll sein, die Diagnose bei einem im Bereich ADHS besonders erfahrenen Arzt ohne entsprechende formale Qualifikation einzuholen, weil Erfahrung, Spezialkenntnisse und Einfühlungsvermögen oft wichtiger dafür sind, als der Titel. Betroffene müssen sich die Medikamente dann aber von einem anderen Arzt mit entsprechender formaler Qualifikation verschreiben lassen. Der Arzt ohne die formale Qualifikation darf nur die Behandlung koordinieren.

Junge Erwachsene, die schon vor dem 18. Geburtstag wegen ADHS in Behandlung waren, können die Stimulanzien ggf. auch von Spezialisten für Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen bekommen, z.B. vom Kinder- und Jugendpsychiater oder vom Kinder- und Jugendarzt. Ausnahmsweise dürfen auch Hausärzte Folgeverordnungen ausstellen, aber dann sind regelmäßige Kontrollen beim "Spezialisten" mit der formalen Qualifikation notwendig.

Wenn die Behandlung damit nicht oder nicht genug hilft, können manchmal auch andere Medikamente verschrieben werden, obwohl sie nicht für die Behandlung von ADHS bei Erwachsenen zugelassen sind. Näheres unter Off-Label-Use.

Bei der Wahl des Medikaments sind z.B. folgende Gesichtspunkte zu bedenken:

  • Aktueller Zulassungsstatus
  • Wirkdauer
  • Zusätzliche Erkrankungen (z.B. Tic-Störungen, Epilepsie, psychische Erkrankungen)

Näheres unter ADHS > Behandlung bei Kindern.

4. Nebenerkrankungen

ADHS kommt besonders im Erwachsenenalter selten allein vor. Menschen mit ADHS haben oft zugleich psychische Störungen oder neurologische Erkrankungen, z.B.:

Besonders bei Erwachsenen können sich die Symptome von ADHS mit denen anderer Diagnosen stark überschneiden. Dann ist es schwierig, herauszufinden, ob es sich wirklich um ein zusätzliches Problem handelt oder um eine Verwechslung mit ADHS oder ob die andere Diagnose vielleicht die scheinbaren ADHS-Symptome besser erklären kann. Besonders schwierig herauszufinden ist das z.B. bei diagnostizierten Persönlichkeitsstörungen oder Autismus.

4.1. Praxistipp

Hilfe und Beratung bietet das "Aktionsbündnis Seelische Gesundheit" unter www.seelischegesundheit.net.

5. Selbsthilfegruppen

Folgende Internetseiten können bei der Suche einer Selbsthilfegruppe hilfreich sein:

  • www.adhs-deutschland.de > Unser Angebot: ADHS Deutschland e.V. bietet eine Suchfunktion für Selbsthilfegruppen und eine Online-Selbsthilfegruppe an.
  • www.zentrales-adhs-netz.de: Das Zentrale ADHS-Netz der Universitätsklinik Köln ermöglicht die Suche nach regionalen Kontaktmöglichkeiten. Im Zuge dessen können unter anderem auch Kontakte zu Selbsthilfegruppen vermittelt werden.
  • www.nakos.de: Die Nationale Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen liefert in ihrer Online-Suche zwar nur wenige Treffer in Zusammenhang mit ADHS, kann aber vor allem bei der Suche nach Begleiterkrankungen von ADHS zahlreiche Adressen liefern.

6. Sucht

ADHS kann mit unangenehmen Gefühlen, z.B. Nervosität, Unzufriedenheit und dem Gefühl „getrieben zu sein“, einhergehen. Diese Gefühle werden häufig mit Substanzen oder bestimmten Verhaltensweisen kompensiert, was die Entwicklung einer Suchtproblematik begünstigen kann. In einigen Fällen geht die Suche nach neuen Reizen und Spannung in eine schwere Suchterkrankung über. Fachkräfte wie auch Betroffene sprechen in diesem Zusammenhang oft von Versuchen der Selbstmedikation. Betroffene wollen damit unbewusst oder auch bewusst ihre ADHS-Symptome behandeln, handeln sich dabei aber weitere psychische und körperliche Probleme ein.

Es kann sowohl zu substanzgebundenen Abhängigkeiten kommen, z.B. von Nikotin, Cannabis, Medikamenten oder synthetischen Drogen, als auch zu nicht-substanzgebundenen Süchten, z.B. Kaufsucht, Kleptomanie, Sportsucht, dem Messie-Syndrom oder einer Arbeitssucht. Häufig tritt auch eine Kombination aus verschiedenen selbstschädigenden Verhaltensweisen auf.

Betroffene haben oftmals die lebenslange Herausforderung, Dinge maßvoll zu tun und ihr inneres Gleichgewicht zu finden. Menschen mit ADHS sollten daher einen sensibilisierten Umgang mit suchtauslösenden Substanzen und Verhaltensweisen trainieren und sich bei einer möglichen Gefährdung frühzeitig Hilfe suchen. Hilfreich ist auch ein wachsames Umfeld, das ggf. einschreiten kann. Bei Verdacht auf eine Suchtproblematik kann eine kostenlose Beratung bei einer Suchtberatungsstelle in Anspruch genommen werden.

Zudem ist es wichtig, den Substanzkonsum den behandelnden Ärzten und Therapeuten mitzuteilen, um die Dauermedikation dementsprechend anzupassen. Von einer (Selbst-)Therapie mit Cannabis rät die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften dringend ab.

Eine Therapie mit Methylphenidat oder Lisdexamfetamin kann trotz eines Missbrauchspotentials dieser Wirkstoffe das Suchtrisiko erheblich senken. Sachgerechte Behandlung führt dazu, dass die Menschen mit ADHS keinen Bedarf mehr nach Selbstmedikation verspüren.

6.1. Praxistipps

7. Führerschein

ADHS zählt nicht zu den Krankheiten oder Behinderungen, die die Eignung zum Autofahren längere Zeit beeinträchtigen oder aufheben (Anlage 4 der Fahrerlaubnis-Verordnung zu den §§11, 13 und 14 Eignung und bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen). Beim Erwerb des Führerscheins müssen keine Angaben bezüglich ADHS gemacht werden. Die ärztlich verordnete regelmäßige Einnahme von Betäubungsmitteln wie Methylphenidat schränkt die Eignung zum Autofahren ebenfalls nicht ein und muss bei Behörden nicht angegeben werden. Bei unregelmäßiger Einnahme bzw. während der Einstellungsphase der Medikamente kann es jedoch zu Einschränkungen der Fahrtüchtigkeit kommen. Eine diesbezügliche Absprache mit dem Arzt ist bei ADHS generell sinnvoll und wird empfohlen.

7.1. Praxistipp

Eine Bescheinigung, dass die Einnahme von Betäubungsmitteln ärztlich verordnet ist, kann in manchen Situationen hilfreich sein und Komplikationen vorbeugen. Die Einnahme von Methylphenidat oder Lisdexamfetamin kann z.B. bei einer Polizeikontrolle zu einem positiven Drogentest (Amphetamin) führen.

8. Beziehung und Partnerschaft

ADHS erschwert oft das menschliche Miteinander, auch in einer Partnerschaft. Menschen mit ADHS können z.B.

  • besonders sensibel und empfindlich sein,
  • Schwierigkeiten damit haben, die eigenen Bedürfnisse aufzuschieben,
  • sich bei geringem Verständnis für ihr Verhalten schnell vor den Kopf gestoßen fühlen,
  • Kritik schlecht vertragen,
  • emotional überreagieren,
  • eine verzerrte Selbstwahrnehmung haben,
  • Hilfe brauchen, um Ordnung halten und zuverlässig sein zu können.

8.1. Praxistipp

Informationen und Hinweise für eine gelingende Partnerschaft bei ADHS finden Sie im Infoportal ADHS des zentralen ADHS-Netzwerks und der Universität Köln unter www.adhs.info > Für Eltern und Angehörige > Informationen für Partner.

9. Versicherungen

Soll ein erweiterter Versicherungsschutz abgeschlossen werden, z.B. in Form einer Berufsunfähigkeitsversicherung, sind ggf. zahlreiche Angaben über den Gesundheitszustand und bestehende Vorerkrankungen notwendig (sog. Anzeigepflicht). Hierbei sind auch behandlungsbedürftige Verhaltensstörungen wie ADHS anzugeben. Mithilfe dieser Angaben errechnet das Versicherungsunternehmen die Beitragshöhe. Je höher das Risiko ist, tatsächlich berufsunfähig zu werden, umso höher ist der Beitrag. Einzelne Erkrankungen können auch vertraglich von der Zahlung ausgeschlossen werden. Tritt beispielsweise aufgrund der ADHS oder einer Begleiterkrankung eine Berufsunfähigkeit ein, kann der Versicherer die Zahlung verweigern, wenn er dieses Krankheitsbild im Voraus von der Zahlung im Fall der Berufsunfähigkeit ausgeschlossen hat. Scheint dem Versicherungsunternehmen das Risiko zu hoch, kann es den Abschluss der Versicherung auch komplett verweigern.

Soll das Versicherungsunternehmen Zahlungen leisten, kann es bei der Krankenkasse Einsicht in die Krankenakte erhalten und sich über den aktuellen Gesundheitszustand erkundigen. Es kann auch überprüfen, ob die Krankheit möglicherweise schon im Vorfeld bestand. Wird im Nachhinein klar, dass die versicherte Person ihre Erkrankung wissentlich verschwiegen hat, kann das Versicherungsunternehmen eine Anzeigepflichtverletzung geltend machen und muss bei eintretender Berufsunfähigkeit nicht zahlen.

Dies gilt z.B. auch für Lebensversicherungen, private Unfallversicherungen, private Krankenversicherungen oder Krankenzusatzversicherungen. Ist ein Vertragsabschluss der oben genannten Versicherungen wegen zu hohem Krankheitsrisiko ausgeschlossen, wird häufig eine Dread-Disease-Versicherung (dt.: „Versicherung vor befürchteten Krankheiten“, z.B. Krebs, Schlaganfall) empfohlen. Tritt eine schwere Erkrankung ein, erhält die versicherte Person einen vorher vereinbarten einmaligen Betrag. Hierbei ist jedoch besonders für Menschen mit ADHS Vorsicht geboten, denn psychische (Begleit-)Erkrankungen sind grundsätzlich nicht mitversichert. Bei einigen Versicherungsgesellschaften ist aber eine zusätzliche Absicherung für psychische Erkrankungen möglich.

10. Praxistipps

  • Einige deutsche Kliniken bieten ADHS-Spezialambulanzen bzw. -sprechstunden für Erwachsene an. Weitere Informationen und Adressen bietet Ihnen das Zentrale ADHS Netz unter
    www.zentrales-adhs-netz.de > Regionale ADHS-Netze.
  • Das aktuelle Wissen zur Diagnose und Therapie von ADHS ist in einer medizinischen Leitlinie zusammengefasst. Die Leitlinie "ADHS bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen" können Sie auf der Website der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) unter www.awmf.org > Suchbegriff: "ADHS" herunterladen.
  • Ausführliche Informationen zur Diagnostik und über ADHS-Fragebögen bietet Ihnen das Infoportal ADHS unter www.adhs.info > Für Erwachsene > Diagnostik Erwachsenenalter.

11. Verwandte Links

Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS)

ADHS > Beeinträchtigungen

ADHS > Finanzielle Hilfen

ADHS > Sport und Freizeit

ADHS > Ausbildung - Studium - Beruf

ADHS > Urlaub

ADHS > Ursachen und Diagnose

Letzte Bearbeitung: 17.01.2024

{}ADHS > Erwachsene{/}{}ADS{/}{}Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom{/}{}Hyperaktivität{/}