Bei chronischen Schmerzen kann vom Versorgungsamt ein Grad der Behinderung (GdB) festgestellt werden. Er richtet sich in der Regel nach der Grunderkrankung. Bei chronischen Schmerzen, die nicht oder nur in geringem Maße durch körperliche Schädigungen erklärt werden können und durch ein Zusammenspiel von körperlichen, seelischen und sozialen Ursachen entstehen, wird der GdB interdisziplinär, also in Zusammenarbeit von Fachleuten aus verschiedenen Bereichen, festgestellt. Bei Schmerzen als Begleitsymptom einer psychischen Gesundheitsstörung (z.B. Depression), wird bewertet, wie stark die psychische Gesundheitsstörung den Alltag und die Aktivität der betroffenen Person beeinträchtigt.
Damit Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt am beruflichen und gesellschaftlichen Leben teilhaben können, gibt es für sie sog. Nachteilsausgleiche. Übersichtliche Tabellen mit den Nachteilsausgleichen je nach GdB oder Merkzeichen gibt es unten zum kostenlosen Download.
Das Versorgungsamt, Amt für Soziale Angelegenheiten oder Amt für Soziales und Versorgung richtet sich bei der Feststellung des Grads der Behinderung (GdB) nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (= Anlage 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung). Diese enthalten Anhaltswerte über die Höhe des GdB bzw. des Grads der Schädigungsfolgen (GdS).
Der Grad der Schädigungsfolgen ist ein Begriff aus dem Rechtsgebiet der Sozialen Entschädigung (SGB XIV) und beschreibt, wie stark eine Person durch ein Trauma oder eine Verletzung beeinträchtigt ist und wie sehr dies ihr tägliches Leben beeinflusst. Im Unterschied zum GdB, bei dem jede Behinderung unabhängig von ihrer Ursache berücksichtigt wird, zählt beim GdS nur die Schädigungsfolge.
Beispiel: Herr B. leidet infolge einer anerkannten Schädigung (Unfall im Zivildienst) unter dauerhaften chronischen Rückenschmerzen. Zudem hat er seit seiner Jugend chronische Nervenschmerzen im Gesicht (Trigeminusneuralgie). Beim GdS zählen nur die Folgen des Unfalls im Zivildienst, also die Rückenschmerzen. Beim GdB zählt auch die Trigeminusneuralgie dazu.
Die Versorgungsmedizin-Verordnung mit der besonders wichtigen Anlage 2 gibt es in ständig aktualisierter Form unter www.gesetze-im-internet.de/versmedv/index.html oder als übersichtliche Broschüre mit einer erläuternden Einleitung zum PDF-Download beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales unter www.bmas.de > Suchbegriff: "K710".
Der GdB/GdS bei chronischen Schmerzen orientiert sich in der Regel an der zugrunde liegenden Krankheit sowie an der durch die Schmerzen vorliegenden Funktionseinschränkung. Die in der GdB/GdS-Tabelle angegebenen Werte schließen die üblicherweise vorhandenen Schmerzen mit ein und berücksichtigen auch erfahrungsgemäß besonders schmerzhafte Zustände.
Ist nach Ort und Ausmaß der pathologischen Veränderungen jedoch eine über das übliche Maß hinausgehende Schmerzhaftigkeit nachgewiesen, die eine ärztliche Behandlung erfordert, können höhere Werte angesetzt werden. Das kommt z.B. bei Kausalgien und bei stark ausgeprägten Stumpfbeschwerden nach Amputationen (Stumpfnervenschmerzen, Phantomschmerzen) in Betracht. Ein Phantomgefühl allein bedingt keinen GdS.
Verschlechtert sich nach der Feststellung des GdB der Gesundheitszustand oder kommt eine weitere dauerhafte Einschränkung dazu, kann beim Versorgungsamt ein Antrag auf Erhöhung des GdB gestellt werden.
Menschen mit Behinderungen, die einen GdB von mindestens 50 haben, gelten als schwerbehindert und können einen Schwerbehindertenausweis beantragen, in dem der GdB sowie ggf. Merkzeichen eingetragen sind.
Gesichtsneuralgien (z.B. Trigeminusneuralgie) |
GdB/GdS |
leicht (seltene, leichte Schmerzen) |
0–10 |
mittelgradig (häufigere, leichte bis mittelgradige Schmerzen, schon durch geringe Reize auslösbar) |
20–40 |
schwer (häufige, mehrmals im Monat auftretende starke Schmerzen bzw. Schmerzattacken) |
50–60 |
besonders schwer (starker Dauerschmerz oder Schmerzattacken mehrmals wöchentlich) |
70–80 |
Arterielle Verschlusskrankheiten, Arterienverschlüsse an den Beinen (auch nach rekanalisierenden Maßnahmen) |
GdB/GdS |
mit ausreichender Restdurchblutung, Pulsausfall ohne Beschwerden oder mit geringen Beschwerden (Missempfindungen in Wade und Fuß bei raschem Gehen) ein- oder beidseitig |
0–10 |
mit eingeschränkter Restdurchblutung (Claudicatio intermittens) Stadium II: |
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20 |
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30–40 |
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50–60 |
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70–80 |
Schmerzen nach Gehen einer Wegstrecke unter 50 m mit Ruheschmerz (Stadium III) einschließlich trophischer Störungen (Stadium IV) einseitig |
80 |
Schmerzen nach Gehen einer Wegstrecke unter 50 m mit Ruheschmerz (Stadium III) einschließlich trophischer Störungen (Stadium IV) beidseitig |
90–100 |
GdB-Tabellen zu weiteren Erkrankungen, die mit chronischen Schmerzen verbunden sein können, finden Sie unter folgenden Artikeln:
Brustkrebs > Schwerbehinderung
Nierenerkrankungen > Schwerbehinderung
Prostatakrebs > Schwerbehinderung
Seit 2022 wird die ICD-11 schrittweise eingeführt. Die ICD (International Classification of Diseases) ist ein weltweit anerkanntes Klassifikationssystem der Weltgesundheitsorganisation (WHO), mit dem Krankheiten und Gesundheitsprobleme einheitlich benannt werden. So können Diagnosen klar dokumentiert und mit Krankenkassen abgerechnet werden.
Aktuell wird im deutschen Gesundheitssystem meist noch die ICD-10 genutzt. Seit Januar 2022 ist jedoch die ICD-11 offiziell in Kraft und wird schrittweise eingeführt. In der ICD-11 werden chronische Schmerzen nicht mehr nur als Symptom gesehen, wie in der ICD-10, sondern als eigenständige Erkrankung anerkannt. Das ist noch nicht in die Versorgungsmedizin-Verordnung (s. oben) eingeflossen, aber es gibt Empfehlungen in der Leitlinie "Ärztliche Begutachtung von Menschen mit chronischen Schmerzen". Diese kann unter https://register.awmf.org > Suchbegriff: "Begutachtung Schmerzen" heruntergeladen werden.
Die chronischen Schmerzen werden in der ICD-11 unterteilt in primäre und sekundäre chronische Schmerzen. Sekundäre Schmerzen sind Schmerzen, die vollständig oder teilweise auf Gewebeschäden (z.B. Verletzungen, Nervenschäden) zurückzuführen sind. Primäre chronische Schmerzen hingegen können nicht oder nur in geringem Maße durch körperliche Schädigungen erklärt werden, verursachen emotionalen Stress (z.B. Ängste, Frustration) und beeinträchtigen das tägliche Leben und die soziale Teilhabe. Näheres zur Einteilung chronischer Schmerzen unter Chronische Schmerzen > Entstehung und Schmerzarten.
Zudem können chronische Schmerzen ein Begleitsymptom einer psychischen Gesundheitsstörung (z.B. Depressionen, Angststörungen) sein. Näheres zu den Wechselwirkungen von chronischen Schmerzen und psychischen Problemen unter Chronische Schmerzen > Psyche - Depressionen.
Chronische primäre Schmerzen entstehen oft durch körperliche, seelische und soziale Einflüsse. Deshalb sollte der GdB in Zusammenarbeit von Fachleuten aus verschiedenen Bereichen (z. B. Medizin, Psychologie, Physiotherapie) ermittelt werden. Dabei geht es darum, wie sich die Schmerzen nachweisbar auf Aktivität und Teilhabe in allen Lebensbereichen auswirken.
Wenn Schmerzursachen bekannt sind, also z.B. Krankheiten oder körperliche Veränderungen, wird zuerst dafür ein GdB ermittelt. Liegen mehrere Ursachen vor, wird aber nicht einfach eine Summe aus den einzelnen GdB-Werten gebildet, sondern es wird zunächst der höchste Einzel-GdB-Wert angenommen. Dann wird geprüft, ob die weiteren Beeinträchtigungen die Person zusätzlich beeinträchtigen.
Dabei werden
Nur wenn sich die Auswirkungen der verschiedenen Krankheiten oder Veränderungen gegenseitig verstärken, wird der Gesamt-GdB-Wert höher als der höchste Einzel-GdB-Wert. Dies ist z.B. der Fall, wenn eine zweite Erkrankung verhindert, dass man die Auswirkung der ersten Erkrankung mit dem höchsten GdB ausgleichen kann.
Es wird bewertet, wie stark die psychische Gesundheitsstörung den Alltag und die Aktivität der betroffenen Person beeinträchtigt. Die folgende Tabelle bietet eine Orientierung:
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GdB/GdS |
Leichtere psychovegetative oder psychische Störungen |
0–20 |
Stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive Störungen) |
30–40 |
Schwere Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit, aber auch erhebliche chronische Depression) |
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50–70 |
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80–100 |
Menschen mit Behinderungen haben Anspruch auf Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe, auch wenn bei ihnen (noch) kein GdB festgestellt wurde, z.B.:
Mit einem festgestellten GdB kommen folgende Hilfen und Nachteilsausgleiche in Betracht:
Menschen mit chronischen Schmerzen können in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sein. Unter bestimmten Voraussetzungen gibt es z.B. folgende Hilfen und Unterstützungsmöglichkeiten:
Folgende Tabellen zum kostenlosen Download als PDF-Datei geben eine Übersicht über die Nachteilsausgleiche je nach GdB bzw. Merkzeichen:
GdB-abhängige Nachteilsausgleiche
Merkzeichenabhängige Nachteilsausgleiche
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Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen
Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen
Chronische Schmerzen > Behandlung und Rehabilitation