Vollzeitpflege

1. Das Wichtigste in Kürze

Vollzeitpflege ist eine Form der stationären Jugendhilfe des Jugendamts. Dabei wird das Kind von seiner Familie getrennt. Unterschieden werden eine kurzzeitig angelegte Vollzeitpflege im Fall akuter Krisensituationen und eine auf Dauer angelegte Vollzeitpflege.

2. Formen der Vollzeitpflege

Vorrangig gegenüber stationärer Jugendhilfe, wie der Vollzeitpflege, die mit einer Trennung des Kindes oder Jugendlichen von der Familie verbunden ist, sind familienunterstützende und familienergänzende Maßnahmen, wie Hilfe in Form von sozialpädagogischer Familienhilfe, Erziehungsbeistandschaft oder in einer Tagesgruppe.

Hilfe zur Erziehung in Form von Vollzeitpflege kann befristet und unbefristet sein. Folgende Formen zählen zur Vollzeitpflege:

2.1. Kurzzeitpflege

  • Als Bereitschaftspflege für Kinder und Jugendliche, die wegen familiärer Konflikte und Gefährdungen sehr rasch aus der Familie herausgenommen werden müssen.
  • Als Übergangangspflege für Kinder und Jugendliche, bei denen die Erziehung in der Familie mittelfristig nicht sichergestellt ist. In der Regel handelt es sich dabei nicht um Konflikte, sondern um Krisen, die z.B. durch Krankenhausaufenthalt des erziehenden Elternteils und berufliche Unabkömmlichkeit des anderen Elternteils verursacht werden.
    Eine Übergangspflege kann auch dann in Frage kommen, wenn über die Perspektive eines Kindes oder Jugendlichen noch nicht endgültig entschieden wurde, z.B. während eines Gerichtsverfahrens.

2.2. Dauerpflege

Eine Dauerpflege ist die Unterbringung eines Kindes in einer Pflegefamilie in der Regel für viele Jahre bzw. bis zur Volljährigkeit. Diese Pflegestelle wird durch das Jugendamt vermittelt.

Bei jüngeren Kindern ist die Vollzeitpflege in einer Pflegefamilie gegenüber der Heimerziehung vorrangig.

2.3. Adoptionspflege

Die Adoptionspflege ist der Zeitraum zwischen Einzug des Kindes bei den Adoptiveltern und der endgültigen Adoption. Voraussetzung für die Adoptionspflege ist, dass die leiblichen Eltern das Kind bereits zur Adoption freigegeben haben. In dieser Erprobungsphase von etwa einem Jahr soll eine Beziehung zwischen dem Kind und den Adoptiveltern aufgebaut werden. Das Sorgerecht liegt in dieser Zeit beim Jugendamt, welches die Familie während der Adoptionspflege begleitet und berät.

Die Adoption ist keine Leistung der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII), sondern wird zivilrechtlich im BGB geregelt. Die Abwicklung einer Adoption läuft aber über das Jugendamt.

3. Unterstützung für leibliche Eltern

Eltern, deren Kind in einer Vollzeitpflege lebt, haben Anspruch auf Beratung und Unterstützung sowie Förderung der Beziehung zu ihrem Kind. Durch die Beratung und Unterstützung sollen die Bedingungen in der Herkunftsfamilie so weit verbessert werden, dass die Eltern das Kind oder den Jugendlichen wieder selbst erziehen können.

Auch wenn ein Kind dauerhaft bei Pflegeeltern lebt und eine Rückkehr zu den leiblichen Eltern ausgeschlossen ist, haben Eltern ein Recht auf Umgang mit ihrem Kind, sofern hierdurch das Wohl des Kindes nicht gefährdet ist.

4. Rechte der Eltern und Pflegeeltern

Bei Vollzeitpflege gelten folgende Regelungen:

  • Bei unterschiedlichen Interessen von Kindern, Eltern und Pflegeeltern ist für das Gericht immer das Kindeswohl ausschlaggebend.
  • Die Pflegepersonen sind gesetzlich (§ 1688 BGB) berechtigt, in Angelegenheiten des täglichen Lebens für das Kind allein zu entscheiden und dabei die Sorgerechtsinhaber (= leibliche Eltern) zu vertreten.

4.1. Angelegenheiten des täglichen Lebens

Als Angelegenheit des täglichen Lebens gilt, was häufig vorkommt und keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes hat. Hierzu zählen z.B.:

  • Kaufverträge
  • Vereinsbeitritt (z.B. Sportverein)
  • Übliche ärztliche Behandlungen
  • Unterschriften unter Klassenarbeiten und Zeugnisse
  • Zustimmung zur Teilnahme an Klassenfahrten

Nicht dazu zählen Grundentscheidungen, z.B. zum Schulbesuch, zur Schul-, Ausbildungs- und Berufswahl.

4.2. Gefahr im Verzug

Bei Gefahr im Verzug bzw. sog. Eilentscheidungen besteht eine Vertretungsbefugnis (§ 1629 Abs. 1 BGB). Dies ist z.B. bei schwerwiegenden, eilbedürftigen ärztlichen Behandlungen der Fall. In der Regel muss auch das Kind oder der Jugendliche in eine Heilbehandlung einwilligen, wenn es/er die Tragweite des Eingriffs und die Erklärungen dazu versteht. Der Erziehungsberechtigte ist unverzüglich zu informieren.

4.3. Einschränkung der Vertretungsbefugnis

Die gesetzliche Vertretungsbefugnis der Pflegeeltern kann durch den Sorgerechtsinhaber eingeschränkt werden, jedoch nur unter dem Vorbehalt, dass den Pflegeeltern die Entscheidungs- und Handlungsbefugnisse erhalten bleiben, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben und Pflichten im Rahmen der Erziehung brauchen.

5. Pflegeerlaubnis

Wer ein Kind oder einen Jugendlichen über Tag und Nacht aufnimmt, braucht eine Pflegeerlaubnis. Sie wird vom örtlich zuständigen Jugendamt erteilt. Freie Träger können zwar Pflegepersonen vermitteln, aber keine Pflegeerlaubnis erteilen.

Die Pflegeerlaubnis wird nur erteilt, wenn die überprüfte Pflegestelle das Wohl des Kindes gewährleisten kann. Pflegepersonen mit Pflegeerlaubnis sind verpflichtet, das Jugendamt über wichtige Ereignisse zu unterrichten, die das Wohl des Kindes betreffen.

5.1. Ausnahmen

Keine Pflegeerlaubnis brauchen:

  • Personen, die bereits als Vormund oder Pfleger für das Kind oder den Jugendlichen tätig sind
  • Verwandte und Verschwägerte bis zum 3. Grad
  • Kurzzeitpflegepersonen bis zu 8 Wochen
  • Aufnehmende Familien im Rahmen von Jugend- und Schüleraustausch
  • Aufnehmende einer Adoptionspflege

Die Pflegeerlaubnis darf nicht mit Bedingungen oder Auflagen verbunden werden, muss jedoch vom Jugendamt immer wieder überprüft werden.

Die Pflegeerlaubnis ist den Pflegeeltern zu entziehen, wenn das Wohl des Kindes oder Jugendlichen in der Pflegefamilie gefährdet ist und die Pflegeperson nicht bereit oder in der Lage ist, die Gefährdung abzuwenden.

6. Pflegestellen

In Pflegestellen betreuen pädagogisch ausgebildete Pflegeeltern Kinder und Jugendliche mit Verhaltensauffälligkeiten, Entwicklungsbeeinträchtigungen oder Behinderungen.

7. Heim oder Pflegefamilie?

Ob die Erziehung bei einer Pflegefamilie oder in einem Heim stattfinden soll, orientiert sich maßgeblich an folgenden Überlegungen:

  • Liegen Störungen vor, die im familiären Bereich nicht bewältigt werden können, sondern professionellen Einsatz erforderlich machen?
  • Ist eine zeitlich begrenzte Herausnahme aus der Familie zur Bewältigung einer vorübergehenden Konfliktsituation empfehlenswert?
  • Ist die Heimerziehung ein geeigneter und notwendiger Schritt zur Ablösung von der Familie?
  • Wird eine Heimunterbringung von den leiblichen Eltern vielleicht eher akzeptiert, da ein Heim weniger als "Konkurrenz" erlebt wird?

Details siehe Heimerziehung.

8. Kosten der Vollzeitpflege

Pflegeeltern erhalten für jedes Kind, das bei ihnen in Vollzeitpflege lebt, Pflegegeld. Zum Pflegegeld gehören u.a. Kosten der Pflege und Erziehung, Sachaufwand sowie Zuschüsse, z.B. zum Urlaub, zur Unfallversicherung und zur Altersvorsorge.

Das Jugendamt trägt die Kosten der Vollzeitpflege. Die Eltern werden zu diesen Kosten herangezogen. Der Kostenbeitrag richtet sich nach der Kostenbeitragsverordnung und kann in der Höhe regional unterschiedlich ausfallen.

Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge hat einheitlich für alle Bundesländer folgende Empfehlungen für die Pauschalbeträge hinsichtlich der Unterhaltsleistungen bei Vollzeitpflege in einer Pflegefamilie ausgesprochen:

  • materielle Aufwendungen bis zum 6. Lebensjahr: 731 € monatlich
  • materielle Aufwendungen bis zum 12. Lebensjahr: 864 € monatlich
  • materielle Aufwendungen über dem 12. Lebensjahr: 1.025 € monatlich
  • Kosten für die Pflege und Erziehung: 420 € (unabhängig vom Alter des Pflegekindes)

Die verbindliche Festsetzung der Pauschalbeträge obliegt den Landesbehörden.

8.1. Taschengeld

Kinder oder Jugendliche erhalten bei vollstationären Hilfen einen Barbetrag zur persönlichen Verfügung (§ 39 SGB VIII). Die Höhe dieses Barbetrags setzen die Landesbehörden fest.

8.2. Beihilfen und Zuschüsse

In Einzelfällen kann das Jugendamt auf Antrag Beihilfen leisten, z.B. für:

  • Erstausstattung
  • Weihnachten
  • Klassenfahrten
  • Besondere pädagogische Förderung

8.3. Praxistipp

Nach Volljährigkeit eines Pflegekindes kann das Pflegeverhältnis über den 18. Geburtstag hinaus in Frage kommen (Hilfe für junge Volljährige), wenn das Pflegekind weiterhin Unterstützungsbedarf hat.

9. Wer hilft weiter?

Weitere Informationen geben die örtlichen Jugendämter und folgende Verbände:

  • PFAD – Bundesverband der Pflege- und Adoptivfamilien e.V., Oranienburger Str. 13–14, 10178 Berlin, Telefon 030 94879423, www.pfad-bv.de.
  • Arbeiterwohlfahrt Bundesverband, Blücherstr. 62/63, 10961 Berlin, Telefon 030 26309-0, https://awo.org.
  • Evangelischer Verein für Adoption und Pflegekinderhilfe e.V., Heerdter Landstr. 141, 40549 Düsseldorf, Telefon 0211 408795-0, www.evangelische-adoption.de
  • Sozialdienst katholischer Frauen Zentrale e.V., Agnes-Neuhaus-Str. 5, 44135 Dortmund, Telefon 0231 557026-0, www.skf-zentrale.de.
  • Deutscher Caritasverband, Karlstr. 40, 79104 Freiburg, Telefon 0761 200-0, www.caritas.de.

10. Verwandte Links

Adoption

Heimerziehung

Erziehungshilfe

Jugendamt

Kinder- und Jugendhilfe

Vollstationäre Pflege (Pflegeheim)

Sorgerecht

Umgangsrecht


Rechtsgrundlagen: §§ 33, 44 SGB VIII

Letzte Bearbeitung: 24.01.2024

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