Eingliederungshilfe-Verordnung

1. Das Wichtigste in Kürze

Die Eingliederungshilfe-Verordnung ist im Zusammenhang mit dem sog. Bundesteilhabegesetz (BTHG) außer Kraft getreten. Doch übergangsweise gilt die darin enthaltene Definition für eine wesentliche Behinderung weiter, bis es eine neue Verordnung dafür gibt. Eine wesentliche Behinderung ist Voraussetzung für einen Rechtsanspruch auf Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen und kann körperlich, geistig oder seelisch sein. Die derzeitige Definition passt nicht zur Behindertenrechtskonvention und enthält veraltete und diskriminierend wirkende Sprache.

2. Außerkrafttreten der Eingliederungshilfe-Verordnung

Die Eingliederungshilfe-Verordnung ist außer Kraft getreten, was bedeutet, dass sie nicht mehr gültig ist. Denn mit dem sog. Bundesteilhabegesetz (BTHG) wurde das Recht der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen aus dem Recht der Sozialhilfe herausgelöst. Die Eingliederungshilfe-Verordnung regelte die Eingliederungshilfe als Teil der Sozialhilfe, die es so heute nicht mehr gibt.

Das BTHG hat zum Ziel, die Situation für Menschen mit Behinderungen zu verbessern und außerdem den Behinderungsbegriff zu modernisieren und diskriminierende Sprache aus den Regelungen zu entfernen. Näheres unter Bundesteilhabegesetz.

3. Übergangsregelung zum Begriff: wesentliche Behinderung

Im BTHG war in der 4. und letzten Umsetzungsstufe geplant, zum 1.1.2023 die Regelung, wer Anspruch auf Eingliederungshilfe hat (§ 99 SGB IX), zu ändern. Der neue Behindertenbegriff aus der Behindertenrechtskonvention sollte verwendet werden. Diskriminierende rechtliche Regelungen sollten verschwinden. Gleichzeitig sollte sich nichts daran ändern, wer ein Recht auf Eingliederungshilfe hat.

Diese Idee ist gescheitert. Die dazu durchgeführten wissenschaftlichen Untersuchungen haben nämlich ergeben, dass sich mit den sprachlichen Änderungen auch geändert hätte, wer die Hilfen bekommt. Manche wären dazu gekommen, andere hätten Ansprüche verloren.

Darum wurde übergangsweise eine andere Regelung eingeführt: Der § 99 SGB IX wurde schon 2021 sprachlich geändert, nimmt aber als Übergangsregelung Bezug auf die außer Kraft getretene Eingliederungshilfe-Verordnung. Die ersten 3 Artikel dieser Verordnung sollen zunächst definieren, was eine "wesentliche Behinderung" ist. Das ist eine der Voraussetzungen für einen Rechtsanspruch auf Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen.

Die Definition einer "wesentlichen Behinderung" aus der Eingliederungshilfe-Verordnung gilt noch so lange, bis eine neue Verordnung in Kraft tritt. Der Zeitpunkt ist noch offen.

4. Probleme der Eingliederungshilfe-Verordnung

In Deutschland gilt die Behindertenrechtskonvention. Demnach ist eine Behinderung nicht etwas, was in einem Menschen liegt. Sondern eine Beeinträchtigung/Besonderheit eines Menschen führt in Wechselwirkung mit Barrieren zu einer Behinderung. Näheres unter Behinderung.

Die Eingliederungshilfe-Verordnung arbeitet nicht mit diesem modernen Behinderungsbegriff, sondern definiert eine wesentliche Behinderung allein als Defizit eines Menschen.

4.1. Einschränkung der Teilhabefähigkeit

Die Eingliederungshilfe-Verordnung verwendet den Begriff "Einschränkung der Teilhabefähigkeit". Damit geht sie davon aus, es gebe Menschen, die nicht voll am Leben in der Gesellschaft teilhaben können, weil sie sind, wie sie sind. Damit ignoriert die Verordnung, dass Barrieren in der Umwelt (z.B. eine Treppe) oder in den Einstellungen der Mitmenschen (z.B. das Vorurteil, Menschen mit Behinderungen vieles nicht zuzutrauen) die Teilhabe eines Menschen einschränken und behindern können. Sie geht stattdessen davon aus, es liege an dem Menschen mit Behinderung, dass er nicht teilhaben kann.

Wer davon ausgeht, es gebe Menschen, die nicht zur Teilhabe fähig sind, geht davon aus, dass diese Menschen sich ändern müssen, damit sie teilhaben können (Integration).

Die Behindertenrechtskonvention und auch das BTHG bauen auf dem Gedanken der Inklusion auf. Dabei geht es darum, dass die Welt so gestaltet werden soll, dass alle Menschen, so wie sie sind, teilhaben können. Näheres unter Behinderung > Inklusion. Dazu passt die Eingliederungshilfe-Verordnung nicht.

4.2. Geistige Schwäche

Die Eingliederungshilfe-Verordnung verwendet die Begriffe „geistig wesentlich behindert" und „Schwäche ihrer geistigen Kräfte“. Betroffene kennen den Begriff "geistig behindert" als Schimpfwort und kritisieren ihn als diskriminierend. Sie erleben eine damit verbundene Stigmatisierung. Als Alternative wird "Beeinträchtigungen der intellektuellen Funktionen“ diskutiert.

4.3. Veraltete defizitorientierte Begriffe

Die Eingliederungshilfe-Verordnung enthält einige Begriffe, die veraltet und defizitorientiert sind wie z.B.:

  • Körperliche Gebrechen
  • Abstoßend wirkende Entstellungen
  • Seelentaube
  • Hörstumme

5. Arten wesentlicher Behinderungen

Die Eingliederungshilfe-Verordnung unterscheidet:

  • Körperlich wesentlich behinderte Menschen
  • Geistig wesentlich behinderte Menschen
  • Seelisch wesentlich behinderte Menschen

Für alle drei Arten einer Behinderung ist in der Eingliederungshilfe-Verordnung Voraussetzung, dass die Menschen "in ihrer Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft erheblich eingeschränkt" sein müssen.

5.1. Körperlich wesentliche Behinderung

"Körperlich wesentlich behindert" können nach der Eingliederungshilfe-Verordnung Menschen der folgenden Gruppen sein:

  • Personen mit erheblicher Einschränkung der Bewegungsfähigkeit durch eine Beeinträchtigung des Stütz- oder Bewegungssystems
  • Personen mit erheblicher Spaltbildung des Gesichts oder des Rumpfes
  • Personen mit abstoßend wirkenden Entstellungen vor allem des Gesichts
  • Personen mit in erheblichem Umfang eingeschränktem körperlichen Leistungsvermögen infolge Erkrankung, Schädigung oder Fehlfunktion eines inneren Organs oder der Haut
  • Blinde und Sehbehinderte, bei denen mit Gläserkorrektion ohne besondere optische Hilfsmittel
    • auf dem besseren Auge oder beidäugig im Nahbereich bei einem Abstand von mindestens 30 cm oder im Fernbereich eine Sehschärfe von nicht mehr als 0,3 besteht oder
    • andere Störungen der Sehfunktion von entsprechendem Schweregrad vorliegen
  • Personen, die gehörlos sind
  • Personen, denen eine sprachliche Verständigung über das Gehör nur mit Hörhilfen möglich ist
  • Personen, die nicht sprechen können
  • Seelentaube
  • Hörstumme
  • Personen mit erheblichen Stimmstörungen
  • Personen, die stark stammeln, stark stottern oder deren Sprache stark unartikuliert ist

5.2. Geistig wesentliche Behinderung

"Geistig wesentlich behindert" können nach der Eingliederungshilfe-Verordnung Menschen mit "geistiger Schwäche" sein.

5.3. Seelisch wesentliche Behinderung

"Seelisch wesentlich behindert" können nach der Eingliederungshilfe-Verordnung Menschen mit mindestens einer der folgenden "seelischen Störungen" sein:

  • Körperlich nicht begründbare Psychosen
  • Seelische Störungen als Folge von Krankheiten oder Verletzungen des Gehirns, von Anfallsleiden oder von anderen Krankheiten oder körperlichen Beeinträchtigungen
  • Suchtkrankheiten
  • Neurosen und Persönlichkeitsstörungen

5.4. Orientierungshilfe zur Einordnung

Was genau unter diese Kategorien fällt, wird immer noch anhand einer Orientierungshilfe der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe aus dem Jahr 2009 entschieden, obwohl diese Träger nicht mehr zuständig sind.

6. Praxistipps

7. Wer hilft weiter?

8. Verwandte Links

Behinderung

Bundesteilhabegesetz

Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen

Leistungen für Menschen mit Behinderungen

Letzte Bearbeitung: 19.03.2024

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