Das Wichtigste in Kürze
Inkontinenzhilfen unterstützen Menschen, die ihre Blasen- oder Darmfunktion nicht mehr willentlich kontrollieren können. Ursache können Fehlbildungen, Krankheits- oder Verletzungsfolgen sein. Je nach Bedarf kommen unterschiedliche Hilfsmittel zum Einsatz. Notwendige, vom Arzt verordnete, Inkontinenzhilfen werden von der Krankenkasse bezahlt. In der Regel müssen Versicherte eine Zuzahlung leisten.
Ursachen und Formen
Es wird zwischen Harn- und Stuhlinkontinenz unterschieden.
Harninkontinenz
Bei Harninkontinenz (Urininkontinenz) werden in Abhängigkeit von der Ursache verschiedene Arten beschrieben (Definition nach der ICS, International Continence Society):
| Form der Inkontinenz | Beschreibung |
| Belastungsinkontinenz | Harnabgang bei körperlicher Belastung (z.B. Husten, Niesen, Lachen, Heben), meist durch Beckenbodenschwäche verursacht. |
| Motorische Dranginkontinenz | Unwillkürlicher Harnabgang bei starkem Harndrang, messbare Überaktivität des Blasenmuskels. |
| Sensorische Dranginkontinenz | Zwanghafter Harndrang ohne nachweisbare Muskelaktivität, Störung der Harndrangwahrnehmung. |
| Reflexinkontinenz | Fehlender Harndrang mit unwillkürlichem Harnabgang, verursacht durch Rückenmarksschädigungen (supraspinal= „oberhalb des Rückenmarks, im Gehirn" oder spinal= „im Rückenmark"). |
| Überlaufinkontinenz | Harnabgang bei übervoller Blase ohne Harndrang, z.B. durch Nervenschäden, Medikamente oder chronische Überdehnung. |
| Extraurethrale Inkontinenz | Harnabgang außerhalb der Harnröhre, z.B. durch Fisteln oder angeborene Fehlbildungen. |
| Enuresis (nächtliches Einnässen) | Unwillkürlicher nächtlicher Harnabgang, mögliche Ursachen: Infekte, psychische Belastung. |
| Nykturie (nächtliches Wasserlassen) | Häufiges nächtliches Wasserlassen (mehr als zweimal pro Nacht); z.B. bei Herzschwäche oder Diabetes. |
Stuhlinkontinenz
Die Stuhlinkontinenz beruht auf einer direkten oder indirekten Störung der analen Schließmuskelfunktion.
Stuhlkontinenz definiert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als erlernte Fähigkeit, „Stuhlgang willentlich, orts- und zeitgerecht abzusetzen“. Stuhlinkontinenz ist eine unwillkürliche Entleerung von flüssigem oder festem Stuhl. Die Ursachen können vielfältig sein:
| Ursache /Auslöser | Erläuterung |
| Nervenstörungen/ -verletzungen | z.B. infolge von Schlaganfall, Demenz, Querschnittlähmung, Bandscheibenverletzungen oder Krebserkrankungen |
| Chronische Erkrankungen | z.B. Parkinson, Multiple Sklerose oder Demenz, auch bedingt durch zunehmende Pflegebedürftigkeit |
| Verletzungen im Analbereich, Schädigung des Schließmuskels | z.B. nach Geburt oder Operationen |
| Beckenbodenschwäche | z.B. nach Operationen oder bei Alterungsprozessen |
| Chronische Verstopfung/ Kotstauung | Obstipation oder Kotstauung im Dickdarm (rektale Koprostase) |
| Rektumprolaps | Vorfall des Enddarms |
| Analfisteln | nach bakteriellen Infektionen |
| Speicherfunktionsstörungen | nach Operation am Rektum oder Enddarm infolge von Krebserkrankungen oder chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, z.B. Morbus Crohn oder Colitis Ulcerosa |
Versorgungsarten
Hilfsmittel zur Harninkontinenzversorgung sollen Harnausscheidungen auffangen oder ableiten und rücknässegeschützt speichern oder aufsammeln, um Infektionen (z.B. Harnwegsinfektionen), eine Dermatitis oder Ekzeme und andere Komplikationen zu vermeiden.
Bei Stuhlinkontinenz ist das Auffangen des Stuhls in saugenden oder aufnehmenden Systemen üblich, um z.B. eine Dermatitis oder ein Ekzem und sonstige Störung zu verhindern.
Falls eine Harn- und Stuhlinkontinenz vorliegt, steigt das Risiko für Hautirritationen. Dann muss die Hautbeschaffenheit regelmäßig kontrolliert werden.
Inkontinenzhilfen lassen sich in 4 wesentliche Gruppen einteilen.
Aufsaugende Versorgung
Diese Produkte sind mehrschichtig aufgebaut und dienen dazu, Urin und flüssigen Stuhlgang sicher aufzufangen. Ein weiches Innenvlies und aufsaugende Materialien sollen eine Dauerbefeuchtung der Haut vermeiden und Gerüche binden. Geeignet sind körpernah getragene Produkte mit feuchtigkeitsdichter Abschlussschicht und atmungsaktiver Außenschicht. Die Produkte selbst gibt es als:
- Vorlagen
Vorlagen und anatomisch geformte Vorlagen können in einer eng anliegenden handelsüblichen Unterhose oder in einer sog. Netzhose bzw. Fixierungshose getragen werden.
Netzhosen dienen der Fixierung von Vorlagen. Sie werden eingesetzt, wenn handelsübliche Unterwäsche nicht ausreicht - Inkontinenzhosen
- Windelhosen mit wieder verschließbaren Systemen (Klett-/Haftstreifen, auch als Windeln mit Klebestreifen oder Windelhosen bezeichnet)
- Inkontinenzunterhosen, sog. „Pants“, die kein Verschlusssystem besitzen und wie normale Unterwäsche angezogen werden.
Die bevorzugte Versorgung ist die anatomische Vorlage mit Netz- oder Fixierhose, da sie hautfreundlich und einfach zu wechseln ist. Wenn diese Versorgung aufgrund körperlicher oder kognitiver Einschränkungen nicht ausreicht, können Inkontinenzhosen eingesetzt werden. Windelhosen mit Klebeverschluss gelten als Regelversorgung. Pants bieten keinen medizinischen Vorteil, können aber bei bestimmten Einschränkungen eine geeignete Alternative sein, z.B. wenn Windeln mit Klebeverschluss von der betroffenen Person nicht toleriert und regelmäßig entfernt werden.
Ableitende Versorgung
Ableitende Produkte leiten Urin oder dünnflüssigen/breiigen Stuhl direkt oder über Verbindungsschläuche in entsprechende Auffangbeutel. Sie schonen die Haut, da der oft sehr konzentrierte Urin nicht mit Genitalbereich und Gesäß in Berührung kommt. Beispiele sind:
- Externe Urinableiter für Frauen, Männer und Kinder in Verbindung mit unsterilen Urinauffangbeuteln.
- Urinalkondome oder Rolltrichter mit unsterilen Auffangbeuteln.
- Urinalkondome werden wie Kondome über den Penis gerollt und mit Haftstreifen oder Kleber befestigt. Sie leiten Urin über Schlauchverbindungen in einen Harnauffangbeutel („Urinal“) weiter.
- Das Urinal kann tagsüber mittels Holster am Bein getragen und nachts am Bett befestigt werden.
- Katheter verschiedener Art, z.B. Einmalkatheter (auch mit sterilen Urinauffangbeuteln) oder Dauerkatheter
- Urin- und Stuhlauffangbeutel
- Katheterverschlüsse und -ventile
- Analtampons
- Bettnässertherapiegeräte
Hilfsmittel zum Training der Beckenbodenmuskulatur
Übungsbehandlungen zur Verbesserung der Harninkontinenz oder Stuhlinkontinenz und/oder in Verbindung mit einer Beckenbodenschwäche sind mit den folgenden Trainingsgeräten vorgesehen:
- Trainingsgewichte bzw. Konen
- Mechanische Druckaufnahmesysteme
- Elektronische Messsysteme der Beckenboden-Muskelaktivität (Biofeedback, Näheres unter Alternative Heil- und Pflegemethoden)
Vor der Verordnung sollte eine fachärztliche Untersuchung erfolgen und die therapeutischen Alternativen abgewogen werden. Die Einweisung in die Handhabung erfolgt durch den Arzt.
Elektrostimulationsgeräte zählen nicht zu den Inkontinenzhilfsmitteln, sondern bilden die eigene Hilfsmittelgruppe 09.
Inkontinenztherapiegeräte unterstützen das Training der Beckenbodenmuskulatur. Dabei gibt es Biofeedbackgeräte, Muskelstimulatoren oder Kombigeräte. Muskelstimulatoren geben über Elektroden therapeutische Stromimpulse ab. Biofeedbackgeräte messen die Muskelaktivität und zeigen, ob die richtigen Muskeln aktiviert werden. Kombinationsgeräte vereinen beide Funktionen. Sie werden begleitend zur Beckenbodengymnastik, Verhaltenstherapie oder medikamentösen Behandlung eingesetzt. Eine ärztliche Abklärung der Inkontinenzursache ist Voraussetzung.
Intraurethrale und intravaginale Inkontinenztherapiesysteme
Diese Systeme sind für den Einsatz in die weibliche Harnröhre bzw. in die Vagina konzipiert. Unterschieden wird:
- Intraurethrale Systeme: Verschließen die Harnröhre durch einen kleinen Ballon, um ungewollten Urinabfluss zu verhindern.
- Würfel-, Ring- oder Schalen-Pessare und Vaginaltampons
Diese Systeme dienen zur Stützung bzw. Anhebung des Blasenhalses und des Uterus (Pessare) und können langfristig zur Kontinenz beitragen. Eine individuelle Anpassung und ärztliche Anleitung sind erforderlich.
Kostenübernahme Krankenkasse
Inkontinenzhilfen müssen vom Arzt verordnet werden.
Die Verordnung zu Lasten der Krankenkasse ist möglich, wenn eine mindestens mittelgradige (Richtwert: über 100 ml in 4 Stunden) Harn- und/oder Stuhlinkontinenz vorliegt und der Einsatz der Inkontinenzhilfen
- medizinisch indiziert und
- im Einzelfall erforderlich ist und
- Betroffene in die Lage versetzt, Grundbedürfnisse des täglichen Lebens zu befriedigen.
Die Notwendigkeit einer Inkontinenzversorgung sollte regelmäßig vom behandelnden Arzt oder dem Medizinischen Dienst (MD) überprüft werden.
Die benötigte Stückzahl von aufsaugenden Inkontinenzprodukten kann nicht allein anhand der Ausscheidungsmenge und des technischen Aufsaugvermögens bestimmt werden. Hygienische Anforderungen und die pflegerische Situation sind ebenfalls zu berücksichtigen. Je nach Einzelfall können fünf oder mehr Produkte pro 24 Stunden notwendig sein. Eine Versorgung mit weniger als drei Produkten pro Tag ist in begründeten Ausnahmefällen möglich.
Die gleichzeitige Versorgung mit aufsaugenden und ableitenden Inkontinenzhilfsmitteln ist nur bei gleichzeitigem Vorliegen einer Stuhl- und Harninkontinenz möglich.
Pessare (Würfel-, Ring-, Schalenpessare) werden von der Krankenkasse nur übernommen, wenn sie von der Patientin selbstständig wieder entfernt, gereinigt und neu eingesetzt werden können.
Wassertherapiehosen können von der Krankenkasse bezuschusst werden, wenn sie
- inkontinente Menschen für Übungsbehandlungen im Wasser oder zur Krankengymnastik im Bewegungsbad (verordnet als Heilmittel) benötigen.
- schulpflichtige inkontinente Kinder benötigen, die am Schwimmen im Rahmen der Schulpflicht teilnehmen.
Die Höhe des Zuschusses wird individuell geprüft. Der Zuschuss kann unter der entsprechenden Abrechnungspositionsnummer abgerechnet werden.
Nicht verordnungsfähig
Folgende Produkte gelten nicht als Inkontinenzhilfen und werden nicht von der Krankenkasse übernommen:
- Hygienevorlagen zur Aufnahme geringer Ausscheidungsmengen (z.B. Monatsbinden)
- Penistaschen mit unzureichender Saugleistung
- Produkte, die ausschließlich der Erleichterung hygienischer oder pflegerischer Maßnahmen dienen, z. B. bei dauerhafter Bettlägerigkeit
- Krankenunterlagen (nicht körpernah), die unter die Produktgruppe 19 „Krankenpflegeartikel“ fallen. Die Voraussetzungen für eine Verordnung zu Lasten der Krankenkasse sind im Hilfsmittelverzeichnis in der Produktgruppe 19 „Krankenpflegeartikel“ definiert: https://hilfsmittel.gkv-spitzenverband.de > 19 - Krankenpflegeartikel > 40 - Häuslicher Bereich > 05 - Bettschutzeinlagen (Krankenunterlagen)
- Windeln für Kinder unter drei Jahren, da diese als regulärer Entwicklungsbedarf gelten
- Pessare zur Schwangerschaftsverhütung
- Produkte, die Bestandteil einer ärztlichen Leistung sind und über diese abgerechnet werden (z.B. suprapubische Katheter)
Praxistipps
- Sanitätshäuser und Apotheken beraten zur Versorgung mit Inkontinenzprodukten.
- Für die Versorgung mit Inkontinenzprodukten muss der Arzt ein Rezept ausstellen, das Diagnose, Schweregrad der Inkontinenz, Produktbezeichnung, Größe, Stückzahl und Versorgungszeitraum enthält.
Beispiel: „Aufsaugende Inkontinenzversorgung für 1 Monat, Pants Größe S, Marke XY. Diagnose: schwere Harn- und Stuhlinkontinenz bei Prostatakrebs.“
Mit dieser Verordnung kann bei der Krankenkasse angefragt werden, ob die Lieferung über ein Sanitätshaus möglich ist. Viele Kassen arbeiten mit bundesweiten Lieferdiensten, was zu Wartezeiten führen kann. Übergangsweise können Produkte selbst gekauft und bis zum Festbetrag von der Krankenkasse erstattet werden. - Hilfreiche Informationen, Materialien sowie Adressen von Beratungsstellen oder Kontinenz- und Beckenbodenzentren können unter www.kontinenz-gesellschaft.de > Für Patienten gefunden werden.
- Die Leitlinie verschiedener Fachgesellschaften informiert über Diagnose- und Therapiemöglichkeiten bei Harninkontinenz. Den kostenlosen Download finden Sie unter https://register.awmf.org > Suchbegriff: „S2k-Leitlinie Harninkontinenz bei geriatrischen Patienten – Diagnostik und Therapie“.