Essstörungen > Schwerbehinderung

1. Das Wichtigste in Kürze

Wer durch Essstörungen wie z.B. Magersucht (Anorexie), Bulimie oder Binge-Eating unter Einschränkungen im Alltag leidet, kann diese Einschränkungen als Behinderung anerkennen lassen, um Zugang zu bestimmten Hilfen und Nachteilsausgleichen zu bekommen. Hierzu ist ein Antrag auf Feststellung des Grads der Behinderung (GdB) nötig. Ob ein GdB anerkannt wird und wie hoch der GdB ausfällt, ist bei Essstörungen sehr unterschiedlich. Es hängt von den individuellen psychischen und körperlichen Auswirkungen und deren Folgen auf den Alltag ab. Ab einem GdB von 50 liegt eine anerkannte Schwerbehinderung vor und ein Schwerbehindertenausweis kann ausgestellt werden.

2. Allgemeines zu Behinderung und Schwerbehindertenausweis

Unterstützung und Hilfen für Menschen mit Behinderungen sind hauptsächlich im SGB IX – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – geregelt. Nachfolgend Links zu den allgemeinen Regelungen:

Da Essstörungen zu den seelischen Störungen gehören, kann bei Kindern, Jugendlichen und jungen Volljährigen ein Anspruch auf Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit seelischen Behinderungen bestehen oder bei Erwachsenen auf Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung, auch wenn (noch) kein GdB festgestellt wurde. Mehr zu finanziellen Leistungen und Sachleistungen bei Essstörungen unter Essstörungen > Finanzielle Hilfen.

Eine Tabelle mit den GdB-abhängigen Nachteilsausgleichen zum kostenlosen Download unter nachteilsausgleiche-gdb.pdf.

Ab einem GdB von 50 liegt eine Schwerbehinderung vor und ein Schwerbehindertenausweis kann ausgestellt werden, mit dem verschiedene Vergünstigungen in Anspruch genommen werden können, Näheres unter Schwerbehindertenausweis.

3. Wann liegt bei Essstörungen eine Behinderung vor?

Die Diagnose einer Essstörung allein ist noch keine Behinderung. Eine Behinderung ist es erst, wenn eine sog. Teilhabebeeinträchtigung dazu kommt. Teilhabe bedeutet gleichberechtigt und selbstbestimmt am Alltagsleben in allen Bereichen teilnehmen zu können, z.B. die Schule besuchen zu können, eine Ausbildung absolvieren zu können, berufstätig sein zu können, selbstbestimmt wohnen zu können und soziale Kontakte haben zu können. Näheres unter Behinderung.

4. Wie wird der GdB bei Essstörungen festgestellt?

Das Versorgungsamt (je nach Bundesland kann es auch anders heißen, z.B. „Amt für soziale Angelegenheiten”) stellt den GdB mit Hilfe der sog. Versorgungsmedizinischen Grundsätze fest. Diese enthalten Anhaltswerte über die Höhe des GdB bei verschiedenen Krankheiten, Beeinträchtigungen und psychischen Störungen, Näheres unter Grad der Behinderung.

Direkt zu Essstörungen steht aber nichts in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen. Wie immer, wenn eine Diagnose nicht direkt in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen erwähnt ist, wendet das Amt die Angaben zu Krankheiten, Beeinträchtigungen oder Störungen an, die dort aufgeführt sind und ähnliche Auswirkungen haben.

Ob Betroffene wegen Essstörungen einen GdB bekommen und wie hoch er ist, hängt vom Einzelfall ab. Die Auswirkungen von Essstörungen betreffen sowohl die Psyche als auch den Körper, so dass in der Regel nebeneinander sowohl Angaben zu psychischen Störungen als auch zu körperlichen Gesundheitsstörungen herangezogen werden müssen, um die Behinderung durch eine Essstörung richtig erfassen zu können.

Das Amt ermittelt deswegen zuerst für jede Folge der Essstörung einen Einzel-GdB. Die Einzel-GdBs werden nicht zusammengezählt, sondern es zählt zunächst nur der Bereich mit dem höchsten GdB. Danach erhöht das Amt den Gesamt-GdB nur, wenn durch die weiteren Symptome die Beeinträchtigung insgesamt höher ist, als nur durch das Symptom mit den größten Auswirkungen. Der Gesamt-GdB gibt nämlich an, wie sehr ein Mensch insgesamt durch alle Krankheiten und Normabweichungen in seiner gesellschaftlichen Teilhabe eingeschränkt ist.

4.1. GdB für psychische Auswirkungen der Essstörung

Für die psychischen Auswirkungen zählen die Ausführungen in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen im Abschnitt zu den "Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen".

Das Amt orientiert sich an der Einteilung in folgender Tabelle:

Stärke der Behinderung GdB
Leichtere Störungen 0–20

Stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit:

  • Berufstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist trotz der Probleme noch ohne wesentliche Beeinträchtigung möglich.
  • Nur in besonderen Berufen gibt es Einschränkungen.
  • Keine wesentliche Beeinträchtigung der familiären Situation oder bei Freundschaften.
30–40

Schwere Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten:

  • Verminderte Einsatzfähigkeit in den meisten Berufen.
  • Berufliche Gefährdung
  • Erhebliche familiäre Probleme, aber weder Isolierung, noch sozialer Rückzug, der z.B. eine vorher intakte Ehe stark gefährden könnte.
50–70

Schwere Störungen mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten:

  • Weitere berufliche Tätigkeit sehr stark gefährdet oder ausgeschlossen.
  • Schwerwiegende Probleme in der Familie oder im Freundes- bzw. Bekanntenkreis, bis zur Trennung von der Familie, vom Partner oder Bekanntenkreis.
80–100

4.2. GdB für zusätzliche psychische Störungen

Bei Essstörungen liegen häufig weitere psychische Störungen vor, z.B. Depressionen, Zwänge, Persönlichkeitsstörungen, Angststörungen oder PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung). Für sie wird in der Regel kein zusätzlicher Einzel-GdB ermittelt, weil diese Störungen auch zu den "Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen" zählen. Sie werden bei der GdB-Feststellung meist gemeinsam bewertet, auch wenn verschiedene Diagnosen nebeneinander bestehen.

Auch neurologische Besonderheiten wie z.B. ADHS oder Autismus kommen bei Menschen mit Essstörungen häufiger vor. Dafür sollte das Amt einen eigenen Einzel-GdB ermitteln, weil dazu extra etwas in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen steht.

  • Zum GdB bei ADHS unter ADHS > Behinderung.
  • Der GdB bei Autismus richtet sich nach dem Abschnitt zu den sog. „tief greifenden Entwicklungsstörungen” in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen. Dabei hängt der GdB (genauso wie bei ADHS) von den sozialen Anpassungsschwierigkeiten ab, die sehr unterschiedlich ausgeprägt sein können. Die Höhe des Einzel-GdBs für Autismus kann deshalb sehr unterschiedlich ausfallen und zwischen 10 und 100 liegen.

4.3. GdB für die körperlichen Auswirkungen der Essstörung

Essstörungen können unterschiedliche körperliche Auswirkungen haben, für die das Amt jeweils ein Einzel-GdB ermitteln sollte.

Beispiele:

  • Herzschäden: Die Unterernährung bei Magersucht (Anorexie), die Elektrolytstörungen bei Bulimie oder das Übergewicht bei Binge-Eating können das Herz schädigen. Zum GdB bei Herzschäden unter KHK > Schwerbehinderung.
  • Osteoporose: Essstörungen können durch Hormonstörungen zu Osteoporose führen, vor allem bei Magersucht. Zum GdB bei Osteoporose unter Osteoporose > Behinderung.
  • Funktionsstörung der Eierstöcke: Untergewicht und psychischer Stress können dazu führen, dass die Eierstöcke ihre Funktion einstellen. Folgen sind z.B. eine verzögerte Pubertät, Ausbleiben der Regelblutung (Amenorrhoe), fehlende Fruchtbarkeit und damit ggf. ein unerfüllter Kinderwunsch, Vaginaltrockenheit und verringerte oder ausbleibende Libido. Das Amt sollte sich beim Einzel-GdB an den Angaben zum Verlust beider Eierstöcke orientieren, weil sich die Funktionsstörung ähnlich auswirkt. Allerdings kann der GdB niedriger ausfallen, weil die Eierstöcke meistens wieder normal funktionieren, wenn ein ausreichendes Gewicht und eine ausreichende Ernährung sichergestellt sind.
    Das sind die Angaben zum GdB bei einem Verlust beider Eierstöcke:
    • Vor dem Ende der Pubertät: Einzel-GdB von 20 bis 40
    • Nach der Pubertät: Einzel-GdB von 20 bis 30 bei noch bestehendem Kinderwunsch und mangelnden Möglichkeiten zum Ausgleich der Hormone
    • Ab der Menopause: Einzel-GdB von 10
  • Potenzstörungen: Bei Männern können Essstörungen zu Potenzstörungen führen, für die aber nur bei erfolgloser Behandlung ein Einzel-GdB vergeben werden kann, Näheres unter Erektile Dysfunktion.

4.4. Praxistipp

Die Versorgungsmedizin-Verordnung mit den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen als Anlage zu § 2 finden Sie in ständig aktualisierter Form unter www.gesetze-im-internet.de/versmedv/index.html oder als übersichtliche Broschüre mit einer erläuternden Einleitung zum PDF-Download beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales unter www.bmas.de > Suchbegriff: "K710".

5. Verwandte Links

Essstörungen

Behinderung > Steuervorteile

Grad der Behinderung

Behinderung

Leistungen für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen

Letzte Bearbeitung: 18.07.2025

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