Bürgergeld > Kooperationsplan und Leistungsminderungen

1. Das Wichtigste in Kürze

Das Bürgergeld ersetzt seit 1.1.2023 „Hartz IV“, also die Leistungen nach dem SGB II, Arbeitslosengeld II (ALG II) und Sozialgeld im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Das System aus Eingliederungsvereinbarungen und teils verfassungswidrigen Sanktionen wird ersetzt durch unverbindliche Kooperationspläne, aber auch Verwaltungsakte und Leistungskürzungen um bis zu 30 % des Regelsatzes. Die neuen Regelungen zu Kürzungen gelten seit dem 1.1.2023, aber die Kooperationspläne werden erst ab dem 1.7.2023 bis Ende 2023 schrittweise eingeführt.

Hinweise:

  • Die ursprünglich geplante 6-monatige Vertrauenszeit mit wenigen Kürzungsmöglichkeiten wurde nicht eingeführt. Näheres unter Bürgergeld.
  • Die Jobcenter dürfen übergangsweise das Bürgergeld noch Arbeitslosengeld II und Sozialgeld nennen, da die Umstellung aller Formulare und Textbausteine einige Zeit in Anspruch nimmt.

2. Fördern und Fordern beim Bürgergeld

Fördern und Fordern ist das Prinzip des sog. aktivierenden Staats im Sozialrecht. Mit „Fordern“ ist gemeint, dass der Staat von hilfebedürftigen Menschen umfangreiche Aktivitäten verlangt, mit denen die Betroffenen sich selbst helfen sollen. „Fördern“ meint, dass der Staat die Menschen bei diesen Aktivitäten unterstützt.

Auch beim Bürgergeld gilt weiterhin das Prinzip „Fördern und Fordern“, aber mit anderen Regeln als bei „Hartz IV“.

Beim Bürgergeld sind maximale Leistungskürzungen um bis zu 30 % des sog. Regelsatzes (= Pauschale für den Lebensunterhalt) möglich, wenn schriftlich auferlegte Pflichten (=Verwaltungsakt) verletzt wurden. Ein Verwaltungsakt ist eine behördliche Entscheidung, z.B. die Verpflichtung zu einer Zahlung oder Handlung, Gewährung oder Ablehnung einer Leistung.

Kürzungen der Geldleistungen sind bei Terminversäumnissen möglich oder wenn, noch bis einschließlich 30.06.2023, gegen Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung verstoßen wird.

Dies gilt aber nicht für Vereinbarungen im Rahmen des sog. Kooperationsplans, der ab 1.7.2023 mit einer rechtlich unverbindlichen Planung von leistungsberechtigten Person und Jobcenter die Eingliederungsvereinbarung ersetzen wird. Hier sind, im Gegensatz zur vorausgegangenen Eingliederungsvereinbarung, keinerlei Leistungskürzungen vorgesehen.

Die ursprünglich geplante 6-monatige Vertrauenszeit, in der erst bei mindestens 2 verpassten Terminen Leistungskürzungen möglich gewesen wären, wurde als zu starke Einschränkung des Prinzips "Fördern und Fordern" kritisiert und fand darum keine Zustimmung im Bundesrat. Sie wurde folglich nicht eingeführt, auch wenn umstritten ist, ob die Vertrauenszeit wirklich eine Abkehr vom Prinzip "Fördern und Fordern" bedeutet hätte.

3. Hintergrund der Änderungen

3.1. Eingliederungsvereinbarungen und Sanktionen

Im Zuge der Hartz-IV-Reformen wurde 2004–2005 das System der Grundsicherung für Arbeitssuchende mit dem Arbeitslosengeld II und Sozialgeld (Leistungen nach dem SGB II) eingeführt und seit 1.1.2023 durch das Bürgergeld ersetzt. Die Leistungen wurden vor Einführung des Bürgergelds umgangssprachlich „Hartz-IV“ genannt. Da die Einführung des Bürgergelds zwar einige Änderungen gebracht hat, vieles aber gleich geblieben ist, ist umstritten, ob das Bürgergeld als das "Ende von Hartz IV" bezeichnet werden kann oder nicht. Näheres unter Hartz IV und Sozialhilfe.

Fördern und Fordern wurde bei „Hartz IV“ durch die sog. Eingliederungsvereinbarung umgesetzt und wird es übergangsweise noch bis zum 30.07.2023. Das ist ein sog. öffentlich-rechtlicher Vertrag, in dem Pflichten der hilfebedürftigen Menschen rechtsverbindlich festgelegt werden und Sanktionen (= Kürzungen der Leistungen zum Lebensunterhalt) bei Pflichtverletzungen angedroht werden. Gleichzeitig soll dort geregelt werden, wie der Staat bei der Arbeitssuche unterstützt, z.B. durch Beratung, Maßnahmen wie z.B. ein Bewerbungstraining oder einen Fahrtkostenzuschuss für die Fahrt zu einem Bewerbungsgespräch.

Früher wurde manchen Menschen im Rahmen der Sanktionen sogar das gesamte ALG II gestrichen. Ihnen fehlten also alle Leistungen zur Deckung des Existenzminimums inklusive der Kosten für Unterkunft und Heizung. Das kam selten vor und galt insbesondere für junge Menschen unter 25, da es für diese Personengruppe besonders strenge Regeln gab.

3.2. Teilweise Verfassungswidrigkeit von Sanktionen

Es gab viele Rechtsstreitigkeiten um Eingliederungsvereinbarungen und Sanktionen, weshalb die Eingliederungsvereinbarungen immer komplizierter und unverständlicher formuliert wurden. Die umstrittenen Sanktionen wurden schließlich vom Bundesverfassungsgericht für teilweise verfassungswidrig erklärt und wie folgt begrenzt:

  • Es darf zwar grundsätzlich Sanktionen geben, aber gleichzeitig immer nur in Höhe von höchstens 30% des sog. Regelsatzes.
  • Die Kosten der Unterkunft und Heizung dürfen nicht gekürzt werden.
  • Außerdem muss eine Sanktion auch wieder aufgehoben werden, wenn die betroffene Person ihre Pflichten doch noch erfüllt.
  • Das Jobcenter muss die Möglichkeit haben, auf Sanktionen im Einzelfall zu verzichten, wenn sie sinnlos wären, oder mehr schaden als helfen würden.

Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist insbesondere, dass der Nutzen der Sanktionen in der früheren Form nicht nachgewiesen werden konnte. Das wäre aber erforderlich gewesen, um die massiven Kürzungen der Leistungen für das Existenzminimum zu rechtfertigen.

3.3. Studie zum Nutzen von Sanktionen

Inzwischen gibt es eine Studie, die belegt, dass Sanktionen oft eher schädlich als nützlich waren: Der Verein Sanktionsfrei e.V. hat sie beim Institut für empirische Sozial- und Wirtschaftsforschung beauftragt und stellt die Ergebnisse zum Download bereit unter www.sanktionsfrei.de > Studie.

3.4. Abgelaufenes Sanktionsmoratorium

Bis zum 31.12.2022 waren Sanktionen vorübergehend nur bei verpassten Terminen und nur in Höhe von 10 % möglich, quasi als Übergangsregelung bis zur Einführung des Bürgergelds.

Mit Einführung des Bürgergelds ist das Sanktionsmoratorium ausgelaufen. Leistungskürzungen sind in Höhe von bis zu 30 % möglich, also in dem Rahmen, den das Bundesverfassungsgericht erlaubt.

4. Ablauf des Eingliederungsverfahrens

Der Kooperationsplan dient ab 1.7.2023 als Ersatz für die Eingliederungsvereinbarung bei „Hartz IV“. Die früheren Sanktionen heißen seit 1.1.2023 Leistungsminderungen. Die erheblich strengeren Sanktionsregeln für junge Menschen vor dem 25. Geburtstag wurden ersatzlos abgeschafft. Grundlage der heutigen Leistungsminderungen sind die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts dazu, unter welchen Voraussetzungen Sanktionen zulässig sind.

Das Verfahren zur Eingliederung in (besser bezahlte) Arbeit läuft wie folgt ab:

  1. Potentialanalyse: Ermittlung von Stärken, Schwächen, Hilfebedarfen und Hilfsmöglichkeiten für die Eingliederung in Ausbildung oder Arbeit
  2. Bis 30.06.2023: Eingliederungsvereinbarung als verbindliche Regelung der Pflichten der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, z.B. Vorlage von Bewerbungsnachweisen, Teilnahme an Maßnahmen
  3. Ab 1.7.2023: Kooperationsplan
    • Schriftliche Dokumentation konkret vereinbarter Ziele und der Schritte zu ihrer Erreichung
    • Bei Problemen und Meinungsverschiedenheiten: Schlichtungsverfahren mit Dauer von höchstens 4 Wochen (während dessen: Keine Möglichkeit für Leistungsminderungen)
    • Regelmäßige Überprüfungen, ob die Pflichten des Kooperationsplans durch die Bürgergeldbeziehenden eingehalten werden. Diese erfolgen durch Aufforderungen, bei denen Leistungsminderungen bei Nichteinhaltung angedroht werden, besonders, wenn Bürgergeldbeziehende zu Maßnahmen wie z.B. Bildungsmaßnahmen oder "1-€-Jobs" verpflichtet werden sollten
    • Kommt kein Kooperationsplan zustande oder kann er nicht fortgeschrieben werden: Nur Aufforderungen zur Erfüllung der Mitwirkungspflichten, bei denen Leistungsminderungen bei Nichteinhaltung drohen
    • Leistungsminderungen:
      • Ab 1.7.2023: Wird einer unverbindlichen Aufforderung zur Mitwirkung nicht nachgekommen: Festlegung der Pflichten (z.B. Schreiben einer bestimmten Zahl von Bewerbungen und deren Nachweis, Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme, Aufnahme eines 1-€-Jobs) als Verwaltungsakt
      • Drohende Leistungsminderungen bei Verletzung von per Eingliederungsvereinbarung (nur bis 30.06.2023) oder Verwaltungsakt auferlegten Pflichten um 10 % des Regelsatzes für höchstens 1 Monat beim 1. Verstoß, beim 2. Verstoß um 20 % des Regelsatzes für 2 Monate und bei weiteren Verstößen jeweils um 30 % des Regelsatzes für höchstens 3 Monate
      • Wenn zwischen dem Beginn der ersten Minderung und einer weiteren Pflichtverletzung mehr als 1 Jahr vergangen ist, gilt die Pflichtverletzung wieder als 1. Verstoß und es kann nur eine Kürzung um 10 % des Regelsatzes für 1 Monat nach sich ziehen.
      • Leistungsminderungen bei Nichtwahrnehmung eines Termins von 10 % des Regelsatzes für 1 Monat je verpasstem Termin, auch bei häufigeren Terminversäumnissen
      • Gleichzeitig nie mehr Leistungsminderung als max. 30 % des Regelsatzes
      • Aufhebung von Leistungsminderungen, wenn die Pflicht noch erfüllt wird bzw. glaubhaft gemacht wird, dass sie künftig erfüllt werden wird, jedoch frühestens nach Kürzungsdauer von jeweils mind. einem Monat
      • Härtefallregelung: Keine Kürzungen bei außergewöhnlichen Härten

4.1. Kooperationsplan ab 1.7.2023 als Ersatz für die Eingliederungsvereinbarung

Die bisherigen Eingliederungsvereinbarungen werden ab 1.7.2023 schrittweise ersetzt durch sog. Kooperationspläne.

  • Ein Kooperationsplan ist – anders als eine Eingliederungsvereinbarung – kein öffentlich rechtlicher Vertrag. Er kann deshalb viel freier gestaltet werden, weil die komplizierten rechtlichen Regeln, die für die Wirksamkeit eines öffentlich rechtlichen Vertrags gelten, nicht beachtet werden müssen.
  • Der Kooperationsplan ist rechtlich unverbindlich. Leistungskürzungen (früher Sanktionen) können daraus nicht folgen. Sie werden daher auch in dem Plan nicht angedroht. Das soll eine Vertrauensbasis schaffen. Statt dessen werden Leistungsminderungen jeweils in direkten Aufforderungen zu bestimmten Mitwirkungshandlungen, z.B. zur Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme oder einem 1-€-Job oder zum Nachweis von Bewerbungen per Verwaltungsakt angedroht.
  • Anders als aus einer Eingliederungsvereinbarung, die ein Vertrag ist, können im Kooperationsplan festgehaltene Leistungen des Jobcenters wie z.B. die Finanzierung einer Bildungsmaßnahme oder die Übernahme von Bewerbungskosten nicht direkt aus dem Kooperationsplan eingeklagt werden, wenn sie dann doch nicht erbracht werden.
  • Pflichten, Angebote und Maßnahmen sollen mit Bürgergeldbeziehenden wirklich gemeinsam vereinbart werden. Es ist noch offen, ob die neuen rechtlichen Regeln dieses Ziel erreichen können, da auch die heutigen Eingliederungsvereinbarungen echte gegenseitige Vereinbarungen sein sollen und dies rechtlich eindeutig so festgelegt ist. Trotzdem gelingt das oft nicht.
  • Einfache klare Sprache soll verwendet werden. Die Inhalte sollen denen der Eingliederungsvereinbarung entsprechen.
  • Wenn Bürgergeldberechtigte Qualifizierung oder Weiterbildung benötigen, um dauerhafte Arbeit zu finden, sind die nötigen Bildungsmaßnahmen vorrangig.
  • Wenn nötig, sind Integrationskurse und Deutschkurse vorrangig vor einer Arbeitsaufnahme.
  • Ein sog. Bürgergeldbonus in Höhe von 75 € monatlich für die Teilnahme an einer Maßnahme zur Weiterbildung oder Berufsvorbereitung ist ab 1.7.2023 als positiver Anreiz möglich.

5. Rechtliches Vorgehen gegen Verwaltungsakte, die Kürzungen androhen

Gegen die Auferlegung von Pflichten per Verwaltungsakt ist jeweils ein kostenfreier Widerspruch möglich. Wenn er abgelehnt wird, kann eine ebenfalls kostenfreie Klage dagegen beim Sozialgericht eingereicht werden. Dieses Vorgehen hat z.B. in folgenden Fällen Aussicht auf Erfolg:

  • Die Formulierung ist so unklar, dass nicht klar ist, was eigentlich genau gemeint ist.
  • Die Handlung, zu der verpflichtet wurde, fördert nicht die Eingliederung in Arbeit oder Ausbildung, sondern hat einen anderen Zweck.
  • Das Jobcenter verpflichtet zu einem Handeln, dessen Kosten die Person im Bürgergeldbezug nicht aufbringen kann, ohne zugleich die Kostenübernahme durch das Jobcenter zu regeln.
  • Die Handlung, zu der verpflichtet wurde ist objektiv unmöglich oder überfordernd.
  • Die Handlung schadet der Eingliederung in Arbeit oder Ausbildung.
  • Die Handlung ist nicht zumutbar.

Ggf. ist ein gerichtliches Eilverfahren sinnvoll, weil Widerspruch und Klage keine aufschiebende Wirkung haben. Widerspruch und Klage können ohne anwaltliche Hilfe durchgeführt werden. Es ist aber zumeist aus Gründen der "Waffengleichheit" sinnvoll, sich anwaltlich beraten und vertreten zu lassen, weil die Jobcenter durch juristische Fachkräfte ihrer Rechtsabteilung vertreten werden. Können Bürgergeldbeziehende sich die Anwaltskosten nicht leisten, können die Beratungshilfe bzw. Prozesskostenhilfe weiterhelfen.

Fallbeispiel: Das Jobcenter will Herrn Bauer zu einer Psychotherapie verpflichten, da es der Ansicht ist, dass diese Herrn Bauers Jobaussichten verbessern würde. Eine solche Verpflichtung wäre rechtswidrig. Es ist unwahrscheinlich, dass eine erzwungene Psychotherapie helfen würde und auch Menschen, die Bürgergeld benötigen, haben das Recht, selbst zu entscheiden, ob sie eine Psychotherapie machen wollen oder nicht. Eine Zwangsbehandlung um leistungsfähiger zu werden ist ihnen nicht zumutbar.

6. Wer hilft weiter?

Die Jobcenter erläutern die neuen Regelungen.

7. Verwandte Links

Bürgergeld

Grundsicherung für Arbeitsuchende

Bürgergeld > Karenzzeit

Bürgergeld > Umfang und Höhe

Bürgergeld > Einkommen und Vermögen

Jobcenter

Regelsätze

Letzte Bearbeitung: 23.12.2022

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