Angehörige können Hilfe für Menschen mit Essstörungen organisieren, aber Erwachsene mit Essstörungen dürfen eine Behandlung ablehnen, so lange ihr Wille noch frei ist. Deswegen können auch Eltern, Partner, Verwandte und Freunde nicht immer helfen. Notfalls kann ein Gericht eine Zwangseinweisung und Zwangsernährung ermöglichen, bei Gefahr im Verzug auch nachträglich. Bei Minderjährigen ist nur für die Klinikeinweisung gegen den Willen des Kindes eine Gerichtsentscheidung nötig. Denn die Eltern können auch gegen den Willen ihres Kindes in eine Behandlung einwilligen, z.B. in künstliche Ernährung. Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen können nicht nur die Menschen mit Essstörungen, sondern auch deren Angehörige unterstützen.
Angehörige können Menschen mit Essstörungen bei der Suche nach einer ambulanten Psychotherapie oder einer Klinik unterstützen, die Essstörungen behandelt.
Psychotherapiepraxen in der Nähe sind unter https://arztsuche.116117.de zu finden. Bei Minderjährigen können die Eltern dort Termine vereinbaren. Meist müssen sie dafür zuerst eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter der Praxis hinterlassen. Bei Erwachsenen vergeben die Praxen aber in der Regel nur dann Termine, wenn die Person mit der Essstörung selbst anruft, weil sie sonst eine mangelnde Therapiebereitschaft annehmen.
Eine Psychotherapie ist trotz akutem Bedarf meistens erst nach vielen vergeblichen Versuchen und langer Wartezeit möglich. Wer trotz vieler Versuche keinen Therapieplatz in einer Kassenpraxis findet, kann aber eine Therapie in einer Privatpraxis machen und sich von der Krankenkasse die Kosten erstatten lassen, Näheres unter Psychotherapie. Dafür braucht es aber im Vorfeld eine sorgfältige Dokumentation der vergeblichen Versuche, in einer Kassenpraxis eine Therapie zu bekommen. Bei der Dokumentation können Angehörige helfen.
Essstörungen können zu einer Pflegebedürftigkeit führen, so dass ein Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung sinnvoll sein kann. Eltern können den Pflegeantrag für ihre minderjährigen Kinder stellen. Angehörige von Erwachsenen können bei dem Antrag unterstützen, aber stellen können sie ihn nur mit einer Vollmacht der pflegebedürftigen Person oder wenn sie vorher vom Betreuungsgericht als rechtliche Betreuung bestellt wurden. Bei einer Begutachtung wird dann der Pflegegrad ermittelt und ab Pflegegrad 2 wird Pflegegeld gezahlt. Das Pflegegeld kann z.B. einen Teil des Verdienstausfalls von Eltern ersetzen, wenn sie wegen der Essstörungen ihres Kindes nicht mehr voll arbeiten können.
Bei Essstörungen ist es nicht einfach, einen Pflegegrad zu bekommen, weil Menschen mit Essstörungen nicht dem Klischeebild einer pflegebedürftigen Person entsprechen. Aber Menschen mit Essstörungen können in vielen Bereichen Unterstützung benötigen, so dass sie ein Recht auf Pflegeleistungen haben.
Beispiele:
Essstörungen können zu einer Behinderung führen, bei der ein Recht auf Eingliederungshilfe besteht, z.B. auf eine Unterstützung im betreuten Wohnen für Jugendliche und Erwachsene mit Essstörungen oder eine aufsuchende Familientherapie. Solche Hilfen können Angehörige entlasten und die Beziehung zu dem Menschen mit der Essstörung verbessern.
Bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist für die Eingliederungshilfe in der Regel das Jugendamt zuständig, Näheres unter Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit seelischen Behinderungen und unter Hilfe für junge Volljährige. Ansonsten ist der Träger der Eingliederungshilfe zuständig, Näheres unter Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen.
Eltern und Ehegatten haben eine sogenannte Garantenpflicht, das heißt, sie machen sich ggf. strafbar, wenn sie ihrem Kind oder Ehegatten nicht helfen, zum Beispiel wegen Körperverletzung oder Totschlag. Freundinnen und Freunde haben dagegen keine Garantenpflicht, sondern sie können sich nur in akuten Notfällen wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar machen.
Besonders gefährlich sind zum Beispiel ein sehr niedriges Köpergewicht bei einer Magersucht (Anorexie) oder Kaliummangel bei einer Bulimie, der zu lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen führen kann.
In akuten Gefahrensituationen müssen auch Menschen ohne Garantenpflicht erste Hilfe leisten, die 112 wählen und Hilfe holen. Eine akute Gefahr besteht nicht erst bei Bewusstlosigkeit, sondern z.B. auch, wenn sich bei sehr geringem Gewicht der Gesundheitszustand schnell deutlich verschlechtert oder bei häufigem Erbrechen in einem kurzen Zeitraum.
MHFA Ersthelfer ist die deutsche Version des Programms "Mental Health First Aid" und hat Richtlinien zur Ersten Hilfe bei Essstörungen erstellt, Download unter www.mhfa-ersthelfer.de > Hilfe und Informationen > Für Angehörige und Betroffene > MHFA-Guidelines > Richtlinien zum Umgang mit Essstörungen.
Wenn Eltern eine Essstörung bemerken, müssen sie Hilfe organisieren und anbieten, auch wenn das Kind es nicht möchte. Lehnt das Kind notwendige Hilfe ab, dann können die Eltern zunächst Hilfe beim Jugendamt suchen.
Notfalls kann das Familiengericht auf Antrag der Eltern eine stationäre Behandlung in einer Klinik gegen den Willen des Kindes anordnen. Das Jugendamt kann bei dem Antrag unterstützen. Bei Gefahr im Verzug reicht es, wenn das Familiengericht im Nachhinein so schnell wie möglich über die Zwangsmaßnahmen entscheidet.
Eltern dürfen allerdings ohne eine Entscheidung des Gerichts in eine künstliche Ernährung oder eine Medikation für ihr minderjähriges Kind einwilligen.
Bei Erwachsenen gibt es ein Recht auf freiverantwortliche Selbstschädigung. Das bedeutet:
Wenn genug Zeit dafür ist, muss allerdings vor einer Zwangseinweisung und einer Zwangsbehandlung das Betreuungsgericht darüber entscheiden. Bei Gefahr im Verzug kann die Gerichtsentscheidung nachgeholt werden, Näheres unter Rechtliche Betreuung.
Nähere Informationen zum Thema Zwangsbehandlung bei Essstörungen finden Sie beim Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG) unter https://www.bzga-essstoerungen.de/hilfe-finden/welche-therapie-gibt-es/zwangsbehandlung/ (Pfad: www.bzga-essstoerungen.de > Hilfe finden > Welche Therapie gibt es? > Zwangsbehandlung). Dort können Sie auch einen Ratgeber zu diesem Thema als PDF herunterladen.
Angehörige können den Menschen mit der Essstörung frühzeitig darauf ansprechen, dass es Möglichkeiten zur Patientenvorsorge gibt, zum Beispiel eine Patientenverfügung, eine Vorsorgevollmacht oder eine Betreuungsverfügung. Mit der Patientenvorsorge kann der Mensch mit der Essstörung bestimmen, wer ihn vertreten soll und welche Behandlung gewünscht oder nicht gewünscht ist, wenn keine eigene Entscheidung mehr möglich ist.
Der Mensch mit der Essstörung kann sich somit besser darauf verlassen, dass der eigene freie Wille geachtet wird und die Angehörigen wissen, welches Verhalten der Mensch mit der Essstörung im Ernstfall wünscht.
Essstörungen > Formen und Ursachen