Multiple Sklerose > Behandlung

1. Das Wichtigste in Kürze

Multiple Sklerose (MS) ist aktuell nicht heilbar. Die Therapieentscheidungen werden von Ärzten und Patienten gemeinsam getroffen und orientieren sich an der Schwere der Erkrankung und den Symptomen. Bei akuten Schüben wird i.d.R. hochdosiert Kortison gegeben. Um die Schübe zu verringern und den Verlauf der MS zu verbessern, wird Betroffenen eine Immuntherapie empfohlen. Je nach Schwere und Beeinträchtigung bestimmter MS-typischer Symptome, werden diese z.B. durch Physiotherapie oder Medikamente behandelt. Unter bestimmten Voraussetzungen kann auch die sog. Autologe Stammzelltransplantation ("Reset" des Immunsystems) in Frage kommen.

2. Schubtherapie

Ein Schub ist das Auftreten eines oder mehrerer Symptome, die immer stärker werden und sich dann wieder teilweise oder ganz zurückbilden. Ein Schub kann Tage oder Wochen dauern. Die Symptome können ganz leicht sein, z.B. Kribbeln, oder sehr schwer, z.B. Lähmungen. Entsprechend wird die Intensität der Therapie gewählt.

2.1. Kortisonstoßtherapie

Bei einem Schub wird in der Regel 3–5 Tage Kortison intravenös gegeben, um die Entzündung zu bekämpfen und damit die Stärke und die Dauer der Beschwerden zu reduzieren. Der Standardwirkstoff zur Schubtherapie ist Methylprednisolon (MP), ein sog. Glukokortikosteroid (GKS). Methylprednisolon kann statt einer Infusion auch als Tablette eingenommen werden. Die Behandlung sollte möglichst bald nach Symptombeginn starten.

Bei der Therapieentscheidung werden unter anderem

  • die Schwere des Schubs,
  • Gegenanzeigen (z.B. Schwangerschaft in den ersten 13 Wochen),
  • zusätzliche Erkrankungen sowie
  • die Verträglichkeit und Wirksamkeit eventuell vorangegangener GKS-Therapien

berücksichtigt.

Während der Kortisonstoßtherapie können Nebenwirkungen auftreten. Am häufigsten sind Unruhe und Schlaflosigkeit, Magen-Darm-Beschwerden, Herzrasen, Stimmungsschwankungen, Hitzewallungen, Wassereinlagerungen, Muskel- und Gelenkbeschwerden und Gesichtsrötungen.

2.2. Blutwäsche (Apheresetherapie)

Unter bestimmten Voraussetzungen kann ein Schub auch mit einer Blutwäsche (sog. Apherese) behandelt werden. Bei einer Blutwäsche werden Patienten an eine Maschine angeschlossen, die das Blut reinigt, bevor es wieder zurück in den Körper geleitet wird. Entweder wird dabei das Blutplasma durch frisches Plasma ausgetauscht (= Plasmapherese) oder es werden gezielt krankmachende Antikörper aus dem Blut entfernt (= Immunadsorption).

Die Blutwäsche soll innerhalb von 6–8 Wochen nach Schubbeginn erfolgen, wenn

  • nach dem Ende der GKS-Therapie weiterhin Symptome bestehen, welche die Lebensqualität des Patienten beeinflussen
    oder
  • der Schub besonders schwer ist und die GKS-Therapie nicht ausreichend wirkt.

 

Die Blutwäsche kann schon früher begonnen werden, wenn

  • aufgrund von Gegenanzeigen keine GKS-Therapie möglich ist
    oder
  • die Blutwäsche bei einem früheren Schub sehr gut geholfen hat.

Die Blutwäsche sollte in einem darauf spezialisierten MS-Zentrum durchgeführt werden.

3. Immuntherapie

Meist wird nach der Diagnose einer MS eine Immuntherapie empfohlen. Diese soll Schübe verhindern oder verringern und dafür sorgen, dass die Erkrankung nicht oder weniger schnell voranschreitet. Außerdem soll sie die Lebensqualität von MS-Patienten erhalten und die im MRT gemessene Krankheitsaktivität reduzieren.

Ärzte informieren vor der Behandlung über Vor- und Nachteile der Immuntherapie. Eine gute Aufklärung ist wichtig, da sowohl die Immuntherapie als auch der Verzicht darauf schwerwiegende Folgen haben können. Auf Wunsch des Patienten kann mit der Immuntherapie gewartet werden, wenn mit einem milden Verlauf der MS gerechnet wird. Wichtig ist dann eine engmaschige Überwachung, um eine Verschlechterung der MS rechtzeitig zu erkennen.

Immuntherapeutika unterscheiden sich darin, wie stark sie auf Schübe, das Voranschreiten der MS und die im MRT gemessene Entzündungsaktivität wirken. Sie werden in 3 Wirksamkeitskategorien eingeteilt:

Immuntherapeutika Wirksamkeitskategorie Effektivität
Beta-Interferone einschl. Peg-Interferon, Dimethylfumarat/Diroximelfumarat, Glatirameroide, Teriflunomid 1 Reduzierung der Schubrate im Vergleich zu Placebo (Scheinmedikament): 30–50 %
Cladribin, S1P-Rezeptor Modulatoren 2 Reduzierung der Schubrate im Vergleich zu Placebo: 50–60 %
Alemtuzumab, CD20-Antikörper (z.B. Ocrelizumab, Ofatumumab, Ublituximab), Natalizumab 3 Reduzierung der Schubrate im Vergleich zu Placebo: mehr als 60 %

Reduzierung der Schubrate im Vergleich zu Immuntherapeutika der Wirksamkeitskategorie 1: mehr als 40 %

Die Gefahr schwerer Nebenwirkungen ist bei Immuntherapeutika der Wirksamkeitskategorien 2 und 3 höher als bei Kategorie 1. Die Verträglichkeit im Alltag kann jedoch bei Immuntherapeutika der Kategorie 1 schlechter sein als bei den Kategorien 2 und 3. Welches Immuntherapeutikum eingesetzt wird, hängt z.B. von den zu erwartenden positiven Auswirkungen auf die MS, der Verträglichkeit und Sicherheit sowie einer eventuellen Familienplanung ab.

Bei einem radiologisch isolierten Syndrom (RIS), siehe Multiple Sklerose > Symptome - Verlaufsformen, wird i.d.R. keine Immuntherapie begonnen.

 

Wie lange die Immuntherapie empfohlen wird, hängt insbesondere von der Krankheitsaktivität ab, also wie schwer und wie oft Schübe auftreten und wie stark sich die MS verschlechtert. Eine mögliche Therapiepause wird i.d.R. frühestens nach 5 Jahren erwogen.

3.1. Praxistipp

Gut verständliche Erklärungen zu den verschiedenen Immuntherapeutika finden Sie

4. Symptombezogene Therapie

Symptombezogene Therapie ist medikamentöse und vor allem nicht medikamentöse Therapie, die nicht an den Ursachen, sondern an den Symptomen ansetzt. Die symptombezogene Therapie umfasst z.B.:

 

Folgende Tabelle bietet einen Überblick, welche Therapie bei welchen MS-typischen Symptomen empfohlen wird. Näheres zu den Symptomen unter Multiple Sklerose > Symptome - Verlaufsformen.

Spastik
  • Vermeidung spastikauslösender Ursachen (z.B. Infekte, Schmerzen, falsche Haltung)
  • regelmäßige Physiotherapie und tägliches Wiederholen der physiotherapeutischen Bewegungsübungen
  • bei funktionell beeinträchtigender Spastik ist zusätzlich eine medikamentöse Therapie mit Antispastika (z.B. Baclofen) möglich; wenn diese nicht ausreichend wirksam ist, kann ggf. zusätzlich Sativex (Mundspray, das Cannabisextrakte enthält) verschrieben werden
Gangstörungen
  • zur Verbesserung der Mobilität helfen z.B. Gehtraining (am Boden oder auf dem Laufband), gezieltes Muskeltraining und ggf. Balancetraining (z.B. durch Festhalten an Stock oder Theraband)
  • das Medikament Fampridin kann positive Auswirkungen auf Mobilität, Balance und Gehfähigkeit haben
  • bei Fußheberschwäche können die funktionelle Elektrostimulation (Gerät, das am Bein getragen wird und dort elektrische Impulse sendet) oder eine Fußheberorthese (stabilisiert und unterstützt die Bewegungsfähigkeit) helfen
Ataxie (Störungen der Bewegungskoordination) und Tremor (Zittern)
  • Physio- und Ergotherapie
  • nach physio- bzw. ergotherapeutischer Erprobung können auch Eisanwendungen und Gewichte (z.B. am Handgelenk) eingesetzt werden
  • die Stärke eines Tremors kann durch bestimmte Antiepileptika oder Betablocker verringert werden
  • bei starkem Tremor, der nicht medikamentös behandelt werden kann, ist auch eine tiefe Hirnstimulation (sog. Hirnschrittmacher) möglich, Näheres unter Parkinson > Behandlung
Fatigue
  • i.d.R. nicht-medikamentöse Maßnahmen, z.B. Energiemanagement-Programme, kognitive Verhaltenstherapie, Achtsamkeitstraining
  • hilfreich sind i.d.R. auch körperliche Übungen (Ausdauertraining und Muskelaufbau) sowie kühlende Maßnahmen (z.B. durch kalte Bäder, Kühlelemente)
  • in Einzelfällen kann eine medikamentöse Therapie erwögen werden, z.B. Antidepressiva bei gleichzeitig vorhandener depressiver Verstimmung
Kognitive Einschränkungen
  • Informationen über kognitive Einschränkungen und ggf. Kompensationstraining oder Computertraining
  • körperliche Aktivität im Alltag
  • ambulante oder stationäre Rehabilitation
  • eine medikamentöse Therapie der kognitiven Einschränkungen wird nicht empfohlen
Sexuelle Störungen
  • sexualmedizinische Beratung
  • ggf. sexualmedizinische Therapie, z.B. Beckenbodentraining, Hormonpräparat, PDE-5-Hemmer gegen erektile Dysfunktion
Blasenfunktionsstörungen
  • nicht-medikamentöse Therapie, z.B. Beckenbodentraining, Elektrostimulation
  • medikamentöse Behandlung, z.B. anticholinerge und antispastische Medikamente
  • invasive und operative Maßnahmen, z.B. sakrale Neuromodulation (Implantation einer Elektrode im Bereich des Kreuzbeins)
Schmerzen

zur Schmerztherapie siehe Chronische Schmerzen > Behandlung und Rehabilitation

Näheres zur Kostenübernahme von Therapien und Hilfsmitteln unter Heilmittel und Hilfsmittel.

5. Autologe Stammzelltransplantation (aHSCT)

Eine weitere mögliche Behandlung der MS ist die autologe Stammzelltransplantation (aHSCT).

Bei einer aHSCT werden zunächst Stammzellen aus dem Blut oder Knochenmark entnommen. Dann wird das Immunsystem durch Chemotherapie und Antikörper zerstört. Schließlich werden die entnommenen Stammzellen wieder eingesetzt und so das Immunsystem wieder aufgebaut.

In den aktuellen medizinischen Leitlinien zur Behandlung der MS heißt es dazu, die autologe Stammzelltransplantation habe das Potential, sich zu einer Therapieoption bei schubförmiger MS zu entwickeln, solle momentan aber nur im Rahmen von Studien durchgeführt werden. Denn im Augenblick sei ihre Überlegenheit im Vergleich zu Immuntherapeutika der Wirksamkeitskategorie 3 vor allem unter Sicherheitsaspekten nicht klar belegt.

Eine aHSCT kann insbesondere helfen, wenn

  • die MS sehr aktiv ist (viele Schübe innerhalb eines kurzen Zeitraums und/oder im MRT zeigen sich Entzündungsherde, die sich schnell vermehren und vergrößern),
  • es eine schnelle Behinderungsprogression gibt (die Einschränkungen und Schädigungen werden schnell schlimmer und bilden sich nicht mehr zurück) und
  • mind. eine medikamentöse Immuntherapie nicht geholfen hat.

6. Alternative Behandlungen

Da MS bisher nicht geheilt werden kann und Nebenwirkungen bei der "schulmedizinischen" Therapie auftreten können, ist das Interesse an alternativen Behandlungsmöglichkeiten groß. Das Spektrum alternativer Ansätze reicht von Homöopathie über Nahrungsergänzungsmittel bis hin zu Diäten. Die Wirksamkeit ist dabei jeweils nicht wissenschaftlich belegt.

Es werden auch unangenehme, sehr teure oder gefährliche alternative Behandlungen, z.B. mit Schlangentoxin, angeboten. Von solch riskanten Verfahren sollten Betroffene unbedingt Abstand nehmen. Durch einen Verzicht auf wirksame Therapiemethoden zu Gunsten alternativmedizinischer Behandlungsmethoden riskieren Betroffene Schübe und eine damit verbundene Verschlechterung ihrer Lebensqualität.

6.1. Praxistipps

7. Praxistipps

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Letzte Bearbeitung: 08.04.2024

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