Bei Epilepsie können konsequent eingenommene Medikamente häufig Anfälle verringern oder eine Anfallsfreiheit ermöglichen. Klappt das nicht, helfen manchmal Operationen oder die sog. Neurostimulation. Ergänzende Verfahren und Patientenschulung können die Behandlung unterstützen. Eine Therapie mit dem Wirkstoff Cannabididol aus Cannabis ist selten. Welche Medikamente helfen und ob eine OP sinnvoll ist, hängt davon ab, von welchen Stellen des Gehirns die Epilepsie ausgeht. Reha kann die Behandlung verbessern und hilft, einen guten Umgang mit der Epilepsie zu finden. Notfallmedikamente können einen lebensgefährlichen Status epilepticus stoppen oder verhindern, aber übertriebener Einsatz schadet.
Meistens helfen anfallsunterdrückende Medikamente. Der medizinische Fachbegriff dafür ist „Anfallssupressivum". „Supressivum" kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „unterdrückendes Mittel".
Bekannter sind die veralteten Bezeichnungen Antiepileptika bzw. Antikonvulsiva. „Antiepileptisch" bedeutet „gegen Epilepsie" und „antikonvulsiv" bedeutet „gegen Krämpfe". Anfallsunterdrückende Medikamente helfen allerdings nicht gegen die Epilepsie selbst, sondern nur gegen die Anfälle. Außerdem helfen sie auch gegen epileptische Anfälle, bei denen es nicht zu Krämpfen kommt. Deswegen passt es besser, von anfallsunterdrückenden Medikamenten zu sprechen.
Nach den Angaben in der medizinischen Leitlinie werden etwa 50 % der Menschen mit Epilepsie mit dem 1. anfallsunterdrückenden Medikament anfallsfrei, mit dem 2. weitere 10-15 % und insgesamt durch Medikamente ungefähr 2/3. Etwa die Hälfte der Menschen, die durch Medikamente langjährig anfallsfrei geworden sind, bekommen wieder Anfälle, wenn sie die Medikamente absetzen. Wenn die Medikamente nicht zur Anfallsfreiheit führen, können sie oft die Häufigkeit und/oder die Stärke und Dauer der Anfälle vermindern.
Antiepileptika können mehr oder weniger starke Nebenwirkungen haben und werden von Mensch zu Mensch unterschiedlich gut vertragen. Es ist genauso wichtig, belastende und einschränkende Nebenwirkungen zu vermeiden, wie die Anfälle zu unterdrücken. Ziele der Behandlung sind, das Risiko durch die Anfälle zu verringern (z.B. das Unfallrisiko, das Risiko zu sterben und das Risiko für geistige Folgeschäden), eine möglichst hohe Lebensqualität und ein möglichst selbstbestimmtes und unabhängiges Leben. Bei der neurologischen Behandlung sollten Menschen mit Epilepsie deshalb immer die Auswirkungen der Behandlung auf ihre Lebensqualität besprechen.
Ob die Medikamente lebenslang genommen werden sollten oder nach langer Anfallsfreiheit abgesetzt werden können, ist eine individuelle Entscheidung, die Menschen mit Epilepsie gemeinsam mit ihren Ärzten treffen sollten. Es kommt darauf an, ob die Vorteile durch das Absetzen (Wegfall von Nebenwirkungen und ggf. von Stigmatisierung) das persönliche Rückfallrisiko überwiegen.
Zur Behandlung mit Antiepileptika bei einem Kinderwunsch, in der Schwangerschaft und in der Stillzeit unter Epilepsie > Familienplanung.
Neben den regelmäßig einzunehmenden anfallsunterdrückenden Medikamenten bekommen einige Menschen auch noch sog. Notfallmedikamente. Andere Wörter dafür sind "Bedarfsmedikation" oder "Akutmedikation". Sie sind dafür gedacht, einen sog. Status epilepticus oder eine Anfallsserie zu unterbrechen oder zu verhindern.
Ein Status epilepticus ist ein Anfall, der länger als 5 Minuten dauert. Für Anfallsserien gibt es keine klare medizinische Definition, aber meist wird von einer Anfallsserie gesprochen, wenn mindestens 3 Anfälle innerhalb von 24 Stunden auftreten, wenn die Anfälle normalerweise seltener auftreten. Näheres unter Epilepsie > Ursachen - Diagnose - Formen.
Die medizinische Leitlinie empfiehlt Notfallmedikamente in der Regel bei Anfällen zu verwenden, die länger als 5 Minuten dauern und/oder nach dem 3. Anfall innerhalb von 24 Stunden. Ein Notfallmedikament kann demnach aber auch schon nach dem 1. Anfall nützlich sein, wenn ein Mensch zu Anfallsserien neigt. Betroffene sollten das beim Neurologen absprechen.
Die Notfallmedikamente haben deutliche Nebenwirkungen und können süchtig machen. Zwar sind sie ggf. lebensrettend oder verhindern Langzeitschäden, aber ihr übertriebener Einsatz schadet oder ist im besten Fall sinnlos. Anfälle hören meist spätestens nach 2 Minuten auf und so schnell setzt die Wirkung der Notfallmedikamente nicht ein.
Manche Notfallmedikamente können nur medizinische Fachleute geben, andere auch Laien. Notfallmedikamente gibt es in verschiedenen Formen, z.B. als Nasensprays, Spritzen, Tropfen, Zäpfchen oder Tabletten. Wer ein Notfallmedikament bekommt, sollte sich genau erklären und möglichst schriftlich geben lassen, in welchen Situationen, nach welcher Anfallsdauer und wie es angewendet werden soll.
Manchmal können Menschen mit Epilepsie ein Notfallmedikament selbst verwenden, aber sehr oft muss das wegen Bewusstseinsverlusts beim Anfall eine andere Person übernehmen. Menschen mit Epilepsie sollten daher über die Notfallmedikamente und deren Verwendung die Personen genau informieren, mit denen sie viel Zeit verbringen, z.B. Angehörige oder Kollegen. Bei Kindern und Jugendlichen sollten das Kitapersonal und/oder die Lehrkräfte schriftliche ärztliche Informationen über etwaige Notfallmedikamente bekommen. Näheres unter Epilepsie > Inklusion.
Wenn Laien ein Notfallmedikament geben, müssen sie bei einem Status epilepticus oder dem Verdacht darauf trotzdem einen Notruf absetzen (Telefon: 112) und zwar bei
Nach dem 3. Anfall innerhalb von 24 Stunden sollte der Mensch mit der Epilepsie in eine Notaufnahme gebracht werden, wenn die Anfälle sonst nicht so häufig auftreten. Ein Notruf ist dann aber nicht unbedingt nötig, sondern meist reicht es, ihn in Ruhe zur Klinik zu bringen.
Sie sollten auf die Uhr schauen oder die Sekunden zählen, um die wirkliche Anfallsdauer einschätzen zu können. Eine Sekunde dauert etwa so lange wie das Aussprechen der Zahl 21. Sie vermeiden so einen verfrühten unnötigen Einsatz von Notfallmedikamenten oder unnötige Notrufe. Anfälle wirken oft viel länger, als sie wirklich sind.
Volljährige müssen für viele Medikamente Zuzahlungen in Höhe von 10 % des Abgabepreises bezahlen, mindestens 5 € und maximal 10 €. Menschen mit Epilepsie gelten in der Regel als chronisch krank. Deshalb müssen sie höchstens 1 % des jährlichen Bruttoeinkommens als Zuzahlung leisten, wenn sie einen Antrag auf Zuzahlungsbefreiung stellen, Näheres unter Zuzahlungsbefreiung für chronisch Kranke.
Wenn ein Jahr lang 2 passende ausreichend dosierte Medikamente zur Unterdrückung von Anfällen nacheinander oder in Kombination nicht zu Anfallsfreiheit geführt haben (= pharmakoresistente Epilepsie), ist Anfallsfreiheit für mindestens 1 Jahr durch Medikamente unwahrscheinlich. Die Chance liegt dann nur noch bei unter 10 %. Deswegen sollten sich Menschen mit Epilepsie dann an eine Spezialambulanz, eine Schwerpunktpraxis oder an ein Epilepsiezentrum wenden. Dort kann dann geklärt werden, ob eine Operation (Epilepsiechirurgie) oder Neurostimulation in Frage kommt.
Eine Operation kann bei manchen Menschen mit pharmakoresistenter Epilepsie zur Anfallsfreiheit oder zumindest zu weniger Anfällen führen, ist aber nicht bei allen Menschen möglich und sinnvoll. Eine OP kommt nur bei fokal beginnenden (= von einer Gehirnhälfte ausgehenden) Anfällen in Frage – mit Ausnahme von OPs zum Einsetzen von Elektroden zur Neurostimulation. Neurostimulation ist auch bei generalisiert beginnenden Anfällen möglich. Näheres zu den Anfallsarten unter Epilepsie > Ursachen - Diagnose - Formen.
Viele Menschen mit Epilepsie und deren Neurologen halten die Epilepsiechirurgie für riskanter, als sie wirklich ist, und die Anfälle für weniger gefährlich, als sie tatsächlich sind. Studien zeigen, dass das Sterberisiko bei pharmakoresistenter Epilepsie im Durchschnitt durch eine OP deutlich sinkt. Deswegen sollten sich Menschen mit einer fokal beginnenden Epilepsie um gute Aufklärung über ihre persönlichen Chancen und Risiken bei einer OP kümmern und sich spätestens dann an eine spezialisierte Stelle überweisen lassen, wenn die Einnahme der Medikamente 1 Jahr lang nicht zu Anfallsfreiheit geführt hat.
Ob und ggf. welche Schäden durch die OP drohen (z.B. Sprachprobleme, Bewegungsprobleme oder Sehprobleme), hängt davon ab, von welchen Stellen des Gehirns die Epilepsie ausgeht. Das Risiko ist hoch, wenn sie in der Nähe von Gehirnstellen mit einer wichtigen Funktion liegen oder wenn sie von solchen Stellen nicht klar abzugrenzen sind. Das lässt sich durch verschiedene Untersuchungen herausfinden, z.B. durch ein Langzeit-EEG (Messung der Hirnströme) mit Videoüberwachung in einer Klinik und durch ein MRT (Magnetresonanztomographie, eine Möglichkeit, ohne Röntgenstrahlung Bilder des Gehirns zu machen).
Außerdem sollte vor einer Entscheidung über eine OP die Gehirnfunktion getestet werden und der Mensch mit Epilepsie und ggf. dessen Angehörige sollten sich gut beraten lassen, wie sich die OP z.B. auf die Arbeitsfähigkeit (Epilepsie > Beruf), die Fahrerlaubnis (Epilepsie > Autofahren), auf Sport und Freizeit (Epilepsie > Urlaub und Sport) und auf das soziale Leben auswirken kann. Einerseits kann Anfallsfreiheit vieles (wieder) ermöglichen. Andererseits können durch die OP ggf. entstehende Einschränkungen der Gehirnfunktionen zu deutlichen Behinderungen führen.
Eine Operation kommt auch für ältere Menschen über 60 und Menschen mit einer Intelligenzminderung in Betracht.
Die Entscheidung für oder gegen eine OP müssen am Ende die Betroffenen selbst treffen, bei Kindern und Jugendlichen auch die Sorgeberechtigten. Gute medizinische Aufklärung und Beratung schafft nur die Grundlage dafür.
Eine Operation sollte prinzipiell nur von zertifizierten epilepsiechirurgischen Zentren durchgeführt werden. Es gibt verschiedene Methoden:
Vagusnerv-Stimulation geht auch ohne Operation. Die Impulse an den Vagusnerv gibt dabei eine Elektrode im Ohr durch die Haut. Die gesetzlichen Krankenkassen finanzieren das allerdings nicht. Auch hier sind Nebenwirkungen wie z.B. Heiserkeit und Husten möglich, wie bei der Vagusnerv-Stimulation mit OP.
Zur Ergänzung und Unterstützung der Epilepsie-Therapie kommen verschiedene Verfahren in Betracht. Die medizinische Leitlinie gibt dazu folgende Empfehlungen:
Medikamente mit dem Wirkstoff Cannabidiol (= einer von mehreren Wirkstoffen, die in Cannabis enthalten sind) sind in Deutschland als Antiepileptikum bei folgenden Epilepsie-Formen zugelassen:
Bei diesen Epilepsie-Formen ist wissenschaftlich erwiesen, dass Cannabidiol anfallsunterdrückend wirkt.
Cannabidiol hat keine Rauschwirkung, denn diese geht von einem anderen Bestandteil von Cannabis aus, dem THC. Für THC gibt es keine wissenschaftlichen Nachweise, dass es gegen epileptische Anfälle helfen könnte. Natürliches Cannabis enthält eine Mischung aus verschiedenen Stoffen, die zum Teil Anfälle fördern und zum Teil Anfälle verringern können.
Wenn andere Medikamente versagt haben, ist auch bei anderen Epilepsie-Formen ein sog. Off-Label-Use von Cannabis-Medikamenten möglich, das heißt es kann versuchsweise verschrieben werden, obwohl es nur für die Behandlung anderer Krankheiten zugelassen ist.
Seit April 2024 ist Cannabis für Erwachsene zu Genusszwecken teilweise legal. Das beinhaltet erlaubten Eigenanbau, Besitz und Konsum geringer Mengen bzw. den Erwerb als Mitglied eines sog. Cannabis-Social-Clubs. Informationen bietet das Bundesministerium für Gesundheit unter www.bundesgesundheitsministerium.de > Themen > FAQ Cannabisgesetz.
Wenn Menschen mit Epilepsie in diesem Rahmen Experimente mit Cannabis zur Selbstbehandlung machen wollen, sollten sie
Außerdem gibt es dabei z.B. folgende Probleme:
Eine fehlende Wirkung des Cannabis gegen Epilepsie kann unbemerkt bleiben. Durch den sog. Placebo-Effekt können nämlich sogar Scheinmedikamente ohne jeden Wirkstoff die Gesundheit verbessern.
Menschen mit Epilepsie sollten auch einen (geplanten) Cannabis-Konsum zu Genusszwecken vorher bei einem Neurologie-Termin absprechen.
Patientenschulungen (Psychoedukation) sollen Betroffenen helfen, ihre Krankheit zu verstehen, um mit den Einschränkungen im Alltag besser zurechtzukommen. Mögliche Inhalte einer Epilepsie-Patientenschulung sind z.B.:
Patientenschulungen orientieren sich an der individuellen Erkrankungsform, den Belastungen, den individuellen Möglichkeiten und der Lebenssituation.
Die Krankenkassen können eine ambulante wohnortnahe Patientenschulung finanzieren, Näheres unter Ergänzende Leistungen zur Reha. Wer eine stationäre medizinische Reha macht, z.B. in einem Epilepsiezentrum, bekommt dort in der Regel auch Patientenschulung. Sie ist dann fester Bestandteil der Reha und wird von dem Träger gezahlt, der die Reha finanziert, also z.B. von der Krankenkasse oder vom Rentenversicherungsträger, Näheres unter Rehabilitation > Zuständigkeit.
Es gibt mehrere Angebote für Patientenschulungen:
Epilepsie-Ambulanzen sind regionale Spezialeinrichtungen. Besonders gut geeignet sind sie für:
Epilepsie-Ambulanzen sind an neurologische, pädiatrische und psychiatrische Kliniken oder Fachabteilungen von Krankenhäusern angeschlossen. Die Deutsche Gesellschaft für Epileptologie e.V. bietet eine Übersicht aller Epilepsie-Ambulanzen unter www.dgfe.info > Service > Adressen & Links > Behandlungsorte (Auswahl: Epilepsie-Ambulanzen).
Epilepsiezentren können Menschen mit schwer therapierbaren Epilepsien helfen. Ihr Angebot umfasst sowohl eine Epilepsie-Ambulanz als auch stationäre Diagnostik, Therapie (inklusive Epilepsiechirurgie) und Rehabilitation. Epilepsiezentren gibt es für Kinder und für Erwachsene. Die Deutsche Gesellschaft für Epileptologie bietet eine Übersicht unter www.dgfe.info > Service > Adressen & Links > Behandlungsorte (Auswahl: Epilepsiezentren).
Medizinische Reha bei Epilepsie soll Behinderung, Pflegebedürftigkeit, Erwerbsminderung und/oder Sozialleistungsbezug wegen der Epilepsie verhindern, beseitigen, verringern, ausgleichen oder zumindest einer Verschlimmerung vorbeugen. Nur, wenn mindestens eine der genannten möglichen Folgen droht oder schon eingetreten ist, kann ein Kostenträger eine Epilepsie-Reha bewilligen, z.B. die Krankenkasse oder der Rentenversicherungsträger. Näheres zu möglichen Kostenträgern und deren Zuständigkeit im Einzelfall unter Medizinische Rehabilitation.
Epilepsie-Reha kann z.B.
Die Inhalte einer Epilepsie-Reha sind individuell.
Beispiele:
Medizinische Reha gibt es ambulant und stationär. Bei ambulanter Reha können Menschen mit Epilepsie erarbeitete Strategien gleich im Alltag testen und ggf. anpassen. Stationäre Reha ermöglicht aufwändige medizinische und therapeutische Behandlung in enger Zusammenarbeit verschiedener Fachrichtungen.
Epilepsie > Ursachen - Diagnose - Formen