Bei und nach Psychosen, z.B. bei Schizophrenie oder manischen und/oder depressiven Psychosen, kann das Versorgungsamt auf Antrag einen Grad der Behinderung (GdB) feststellen. Der GdB richtet sich nach der Dauer und Häufigkeit der Akutphasen und nach dem Maß der sozialen Einschränkungen. Damit Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt am beruflichen und gesellschaftlichen Leben teilhaben können, gibt es für sie sog. Nachteilsausgleiche, z.B. Steuerfreibeträge und besonderen Kündigungsschutz.
Der GdB wird nur auf Antrag festgestellt, Näheres unter Grad der Behinderung. Ab einem GdB von 50 liegt eine Schwerbehinderung vor und der Mensch mit Behinderung kann einen Schwerbehindertenausweis beantragen. Auf Antrag können in den Schwerbehindertenausweis unter bestimmten Umständen Merkzeichen eingetragen werden, z.B. das Merkzeichen G (erhebliche Gehbehinderung).
Menschen mit Behinderung müssen sich für die Anträge ans Versorgungsamt (je nach Bundesland kann es auch anders heißen, z.B. Amt für Soziale Angelegenheiten oder Amt für Soziales und Versorgung) wenden. Wenn Menschen mit Psychosen das nicht selbst schaffen, kann das eine bevollmächtigte Person oder die rechtliche Betreuung übernehmen.
Das für die GdB-Feststellung zuständige Amt richtet sich bei der Feststellung der Behinderung nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (= Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung). Diese enthalten Anhaltswerte über die Höhe des Grads der Behinderung (GdB) bzw. des Grads der Schädigungsfolgen (GdS). Die Bezeichnung GdS wird im Sozialen Entschädigungsrecht verwendet. Im Unterschied zum GdB, bei dem jede Behinderung unabhängig von ihrer Ursache berücksichtigt wird, zählt beim GdS nur die Schädigungsfolge.
Beispiel: Frau N. wurde von ihrem Ex-Partner jahrelang nachgestellt (Stalking). Aufgrund der schweren psychischen Belastung entwickelte sie eine Psychose. Jahre später hat sie Multiple Sklerose bekommen, was ihre Behinderung verstärkt hat. Beim GdS zählen nur die Folgen der Psychose durch das Stalking, beim GdB zählen auch die Auswirkungen der Multiplen Sklerose dazu.
Die Versorgungsmedizin-Verordnung mit der besonders wichtigen Anlage zu § 2 finden Sie in ständig aktualisierter Form unter www.gesetze-im-internet.de/versmedv/anlage.html oder als übersichtliche Broschüre mit einer erläuternden Einleitung zum PDF-Download beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales unter www.bmas.de > Suchbegriff: "K710".
Nachfolgend die Anhaltswerte für schizophrene und affektive Psychosen.
Langdauernde (über ein halbes Jahr anhaltende) Psychose |
GdB/GdS |
im floriden Stadium je nach Einbuße beruflicher und sozialer Anpassungsmöglichkeiten |
50–100 |
Florides Stadium wird die Phase genannt, in der die eigentlichen psychotischen Symptome auftreten.
Schizophrener Residualzustand (z.B. Konzentrationsstörung, Kontaktschwäche, Vitalitätseinbuße, affektive Nivellierung) mit geringen und einzelnen Restsymptomen |
GdB/GdS |
ohne soziale Anpassungsschwierigkeiten |
10–20 |
mit leichten sozialen Anpassungsschwierigkeiten |
30–40 |
mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten |
50–70 |
mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten |
80–100 |
Residualzustand nennt man nachhaltige Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit nach einer Krankheit, hier nach psychotischen Schüben. Mit Vitalitätseinbußen werden Einschränkungen von Lebenskraft und Lebensfreude bezeichnet. Affektive Nivellierung ist die Verflachung der Gefühle.
Affektive Psychose mit relativ kurz andauernden, aber häufig wiederkehrenden Phasen |
GdB/GdS |
bei 1–2 Phasen im Jahr von mehrwöchiger Dauer je nach Art und Ausprägung |
30–50 |
bei häufigeren Phasen von mehrwöchiger Dauer |
60–100 |
Nach dem Abklingen lang dauernder psychotischer Episoden ist im Allgemeinen (Ausnahme siehe unten) eine Heilungsbewährung von 2 Jahren abzuwarten. |
GdB/GdS während dieser Zeit |
wenn bereits mehrere manische oder manische und depressive Phasen vorangegangen sind |
50 |
sonst |
30 |
Ausnahme: Eine Heilungsbewährung braucht nicht abgewartet zu werden, wenn eine monopolar (also ohne manische Phasen) verlaufende depressive Phase vorgelegen hat, die als erste Krankheitsphase oder erst mehr als 10 Jahre nach einer früheren Krankheitsphase aufgetreten ist.
Eine Psychose kann zu bleibenden Behinderungen führen.
Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis sind auch wegen Psychosen in bestimmten Fällen möglich. Es folgen Beispiele.
Menschen mit Orientierungsstörungen wegen einer geistigen Behinderung haben eine erhebliche Gehbehinderung. Wie leicht sie das Merkzeichen G bekommen, hängt davon ab, welchen GdB sie allein wegen der geistigen Behinderung haben: Mit einem GdB von 100 bekommen sie das Merkzeichen G immer, mit einem GdB von 80 oder 90 in vielen Fällen, aber mit einem GdB unter 80 nur ausnahmsweise. Orientierungsstörungen als Folge einer Schizophrenie wurden bereits als entsprechende geistige Behinderung gerichtlich anerkannt, obwohl Schizophrenie eigentlich nicht als geistige Behinderung, sondern als psychische Behinderung zählt.
Einem Menschen mit Schizophrenie ohne Orientierungsstörungen wurde aber das Merkzeichen G vor Gericht verwehrt. Dass er Stimmen hört, die ihm große Umwege befehlen, wurde nicht als erhebliche Gehbehinderung anerkannt, obwohl er dadurch auch bei kurzen Entfernungen sehr lange braucht.
Das Merkzeichen Rf berechtigt zu einer Ermäßigung des Rundfunkbeitrags. Es wird auf Antrag in den Schwerbehindertenausweis eingetragen, wenn ein Mensch an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen kann und einen GdB von mindestens 80 hat. Bei einem niedrigeren GdB ist das normalerweise nur bei einer Seh- oder Hörbehinderung möglich.
Das Merkzeichen RF wird aber auch bei gesundheitlichen Härtefällen eingetragen, z.B. wenn ein Mensch mit Behinderung wegen eines besonderen psychischen Leidens ausnahmsweise an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen kann. Psychosen können unter Umständen als solches Leiden anerkannt werden.
Ständig nicht teilnehmen zu können bedeutet, dauerhaft und an allen oder zumindest fast allen öffentlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen zu können.
Mit einem festgestellten GdB kommen z.B. folgende Hilfen und Nachteilsausgleiche in Betracht:
Andere Hilfen und Nachteile werden nur mit einem Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis gewährt, z.B.:
Viele andere Hilfen und Nachteilsausgleiche können auch gewährt werden, wenn (noch) kein GdB festgestellt wurde.
Beispiele:
Folgende Tabelle gibt eine Übersicht über alle GdB-abhängigen Nachteilsausgleiche: GdB-abhängige Nachteilsausgleiche
Folgende Tabelle gibt eine Übersicht über alle Nachteilsausgleiche bei Merkzeichen: Merkzeichenabhängige Nachteilsausgleiche
Leistungen für Menschen mit Behinderungen