ADHS > Pflege

1. Das Wichtigste in Kürze

Vor allem bei Kindern kann auch ADHS (früher ADHS und ADS) zu Pflegebedürftigkeit führen, besonders bei zusätzlichen psychischen Störungen, einer Intelligenzminderung oder einer körperlichen Behinderung wie z.B. Epilepsie. Denn auch wer "nur" deutlich mehr Betreuung braucht, ist in manchen Fällen pflegebedürftig mit Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung. Die Pflegekasse kann dann einen Pflegegrad feststellen und Pflege-Leistungen wie z.B. den Entlastungsbetrag oder Pflegegeld gewähren. Weil ADHS dem klassischen Bild von Pflegebedürftigkeit nicht entspricht, zögern Betroffene oft, Leistungen bei der Pflegekasse zu beantragen. Damit der tatsächliche Hilfebedarf in die Begutachtung einfließt, sollten sich Betroffene auf ihren Termin zur Pflege-Begutachtung gut vorbereiten.

2. Pflegegrad bei ADHS

Nicht nur bei körperlichen Erkrankungen, sondern auch bei psychischen Beeinträchtigungen, kann die Pflegekasse auf Antrag einen Pflegegrad feststellen. Nicht selten der ist Betreuungsaufwand für ein Kind mit ADHS deutlich höher als für ein Kind ohne Behinderung.

Auch bei Erwachsenen mit ADHS kann es zu einer Pflegebedürftigkeit kommen, vor allem wegen Folgeerkrankungen von ADHS bzw. Komorbiditäten (= Begleiterkrankungen). Beispiele: Depressionen, Essstörungen, Angststörungen, Zwänge, Borderline, Suchterkrankungen, Epilepsie. Aber ADHS im Erwachsenenalter schränkt das tägliche Leben in der Regel nicht in dem Maße ein, dass eine Pflegebedürftigkeit vorliegt.

Die Pflegebedürftigkeit wird im Rahmen einer Begutachtung durch den medizinischen Dienst in verschiedenen Lebensbereichen eingeschätzt. Diese heißen Module. Näheres unter Pflegeantrag und Pflegebegutachtung. Mit Ausnahme der Mobilität sind bei ADHS Einschränkungen der Selbstständigkeit in allen Modulen wahrscheinlich.

Beispiele:

  • Modul 3 "Verhaltensweisen und psychische Problemlagen": Manche Menschen mit ADHS bekommen z.B. häufig Wutanfälle mit aggressivem Verhalten, verletzen sich selbst, haben Angststörungen und/oder Depressionen.
  • Modul 4 "Selbstversorgung": Kinder mit ADHS werden zum Teil deutlich später trocken und sauber, brauchen deutlich länger Aufsicht und Anleitung beim Ankleiden, bei der Körperhygiene und beim Essen und beim Trinken. Bei starken Antriebsproblemen, z.B. wegen Depressionen, kann es sein, dass Erwachsene ohne Hilfe durch andere Menschen verwahrlosen, und sogar zu wenig Essen und Trinken.
  • Modul 5 "Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen": Kinder mit ADHS brauchen oft Hilfe bei der Einnahme von Medikamenten, müssen zu Therapien und Arztterminen begleitet werden und die Eltern müssen mit ihren ADHS-Kindern Hausaufgaben aus den Therapien durchführen.
  • Modul 6 "Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte": Kinder und Erwachsene mit ADHS haben z.B. oft Probleme im sozialen Umgang, Schlafstörungen und Schwierigkeiten, einen geregelten Schlaf-Wach-Rhythmus einzuhalten, sie können schlecht planen und organisieren.

Grundsätzlich ist zu beachten:

  • Für Kinder mit ADHS gelten bis zum 11.Geburtstag die Begutachtungskriterien zur Pflegeeinstufung von Kindern (Pflegegrad - Pflegeeinstufung von Kindern).
  • Für Kinder ab dem 11. Geburtstag gelten dann dieselben Berechnungsvorschriften für den Pflegegrad wie für Erwachsene.

3. Vorbereitung auf die Pflege-Begutachtung

Gerade wenn die Pflegebedürftigkeit wie bei ADHS nicht dem klassischen Bild von Pflegebedürftigkeit entspricht, ist eine gute Vorbereitung auf den Termin zur Pflege-Begutachtung sehr wichtig, um die richtige Pflegegrad-Einstufung erreichen zu können, und dann die Leistungen zu erhalten, auf die ein Anspruch besteht.

3.1. Vorbereitung auf die Pflege-Begutachtung bei Kindern und Jugendlichen

Vieles, was im Betreuungs-Alltag normal erscheint, ist eigentlich nicht normal. Um den Mehraufwand erkennen zu können, hilft ein Vergleich mit gleichaltrigen Kindern bzw. Jugendlichen ohne Behinderungen. Eltern von Einzelkindern oder Eltern, die nur ADHS-Kinder oder ggf. Kinder mit anderen Behinderungen haben, können Gespräche mit Eltern von Kindern ohne Behinderungen helfen. Diesen Eltern fällt oft besser auf, welcher Aufwand über das normale Maß hinausgeht.

3.2. Vorbereitung auf die Pflege-Begutachtung bei Erwachsenen

Auch bei Erwachsenen hilft ein Vergleich mit Menschen ohne Behinderungen. Wenn bereits eine Person da ist, welche die Pflege leistet, z.B. der Partner oder die Eltern, können diese ggf. besser als der Mensch mit ADHS erkennen, wie viel Hilfe sie wobei leisten. Wer aber bisher noch keine Pflege bekommt, muss sich die eigenen Probleme erst eingestehen. Hilfreich kann dafür sein, das in einer Therapie zu besprechen, z.B. während eines Klinik- oder Rehaaufenthaltes oder bei ambulanter Psychotherapie. Wenn eine rechtliche Betreuung angeordnet wurde, kann ggf. auch der Betreuer dabei helfen.

3.3. Pflegetagebuch

Ein Pflegetagebuch dokumentiert den Pflegeaufwand im Alltag. Wer es vor der Begutachtung ausreichend lange geführt hat und es zur Begutachtung mitnimmt, kann dann genauer beschreiben, welche Unterstützung wie oft nötig ist.

3.4. Praxistipps

  • Wenn möglich, sollten Sie sich mit Eltern von ADHS-Kindern austauschen, die bereits einen Pflegegrad haben, bzw. mit Erwachsenen mit ADHS und einem Pflegegrad. Diese können Ihnen erklären, wie genau sie bei der Begutachtung den Pflegebedarf vermitteln konnten. Kontakte bekommen Sie z.B. bei Selbsthilfevereinen, in einem ADHS-Elterntraining oder bei einer Pflegeberatung.
  • Sie können sich auch bei einer Stelle für unabhängige Teilhabeberatung beraten lassen. Manche haben Erfahrungen zum Thema Pflege-Begutachtung bei psychischen Behinderungen oder können Kontakte zu Menschen vermitteln, die Ihnen weiterhelfen können.
  • Allgemeine Tipps zur Vorbereitung auf die Pflegebegutachtung finden Sie unter Pflegeantrag und Pflegebegutachtung.
  • Mit dem Pflege-Check (PDF-Download) können Sie sich ausführlich auf die Begutachtung vorbereiten und einschätzen, welchen Pflegegrad die Begutachtung voraussichtlich ergeben könnte.

4. Fallbeispiel: Pflegegrad 2 wegen ADHS

Anton ist 12 Jahre alt und hat Pflegegrad 2 wegen ADHS. Er bekommt 332 € Pflegegeld pro Monat und nutzt Freizeitangebote des familienunterstützenden Dienstes im Wert von 125 € pro Monat, finanziert über den Entlastungsbetrag.

Das sind die Gründe dafür:

Modul 3: Verhaltensweisen und psychische Problemlagen

  Verhalten Punkte
Beschädigen von Gegenständen Beschädigung von Gegenständen bei Wutanfällen 1–3 Mal innerhalb von 2 Wochen 1
Verbale Aggression tägliches Beschimpfen von Familienmitgliedern, Lehrkräften und Gleichaltrigen 5
Gesamtpunktzahl des Moduls 3
  6

 

Modul 4: Selbstversorgung

  Verhalten Punkte
Essen Muss wegen Appetitstörungen durch sein Medikament fast immer umständlich/aufwändig zum Essen überredet werden 3
Gesamtpunktzahl des Moduls 4
  5

 

Modul 5: Krankheits- oder therapiebedingte Anforderungen und Belastungen

  Verhalten Punkte
Medikation (oral)
Unfähigkeit, selbständig an die regelmäßige Medikamenteneinnahme 2 x täglich zu denken 1
Arztbesuche Notwendige Begleitung durch einen Elternteil zu Arztterminen, ca. 5 Mal pro Jahr 0
Besuche anderer medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen Notwendige Begleitung durch einen Elternteil zu Psychotherapieterminen, ca. 4 x pro Monat 4
Gesamtpunktzahl des Moduls 5
  5

 

Modul 6: Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte

  Verhalten Punkte
Ruhen und Schlafen Exzessives nächtliches Computerspielen bei fehlender Kontrolle, Schlafstörungen, bei denen er die Eltern weckt, damit sie ihn beruhigen, muss jeden Tag umständlich geweckt und abends wieder ins Bett gebracht werden 2
Gesamtpunktzahl des Moduls 6   2

 

Gewichtung der Module:

  • Modul 3: 6 Punkte: Schwere Beeinträchtigung, 11,25 Punkte
  • Modul 4: 3 Punkte: Geringe Beeinträchtigung, 10 Punkte
  • Modul 5: 5 Punkte: Schwere Beeinträchtigung, 15 Punkte
  • Modul 6: 2 Punkte: Geringe Beeinträchtigung, 3,75 Punkte

Gesamtpunktzahl: 40

Pflegegrad 2 wird bei 27– 47,5 Punkten festgestellt.

5. Widerspruch und Klage

Es kann sein, dass bei der Begutachtung fälschlicher Weise keine Pflegebedürftigkeit festgestellt wird oder dass eine Einstufung in einen zu niedrigen Pflegegrad erfolgt. Das kann viele Gründe haben, z.B. dass die Pflegebedürftigkeit wegen ADHS nicht dem klassischen Bild entspricht. Ein anderer möglicher Grund ist, dass in der Gesellschaft ADHS zum Teil nicht als medizinisches Problem ernstgenommen wird, Näheres unter ADHS > Beeinträchtigungen.

Wer mit dem Ergebnis des Pflegegutachtens nicht einverstanden ist, kann dagegen einen kostenlosen Widerspruch einlegen, und, falls dieser abgelehnt werden sollte, kostenlos klagen. Näheres unter Widerspruch im Sozialrecht und Widerspruch Klage Berufung. Das ist ohne anwaltliche Hilfe möglich, aber anwaltliche Hilfe kann die Chancen verbessern. Wer sich die Kosten dafür nicht leisten kann und auch keine Rechtsschutzversicherung hat, die diese tragen kann, kann die anwaltliche Hilfe ggf. über die Beratungshilfe und die Prozesskostenhilfe finanzieren.

6. Allgemeines zur Pflege

Allgemeine Informationen zum Thema Pflege gibt es unter den folgenden Links:

7. Pflegeantrag und Einstufung

Diese Seiten informieren darüber, wie Pflegeleistungen beantragt werden können und wie die Einstufung in einen Pflegegrad abläuft:

8. Pflege zu Hause

Informationen zur Pflege zu Hause und den damit verbundenen Leistungsansprüchen bieten diese Seiten:

9. Verwandte Links

Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS)

ADHS > Behandlung bei Kindern

ADHS > Erwachsene

ADHS > Ursachen und Diagnose

ADHS > Wohnen

Letzte Bearbeitung: 16.01.2024

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